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Die sieben Weltwunder

Die sieben Weltwunder

Titel: Die sieben Weltwunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Thiele
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spektakulären Kulisse bis zur letzten Marmorbank dreißig Meter hoch über der Bühne. Eine wunderbare Akustik, noch heute oft unerreicht.
    Am Tag der Artemis gehörte das riesige Theater jedoch allein der Göttin. Der Oberpriester verkündete – wie Homer es überlieferte – den Zuschauern: »Artemis sing ich, mit goldenen Pfeilen, die lärmende, wilde, reine Jungfrau, die bogenerfreute, den Schrecken der Hirsche, die, auf schattigen Höhen und windigen Felsgebirgen froh der Jagd ergeben, gespannt den goldenen Bogen, schmerzliche Pfeile entsendet. Doch die dann entspannt die Krümmung des Bogens und enteilt, um die Chariten und Musen zu prächtigen Tänzen zu leiten. Geschmückt den Leib mit goldnem Geschmeide, führt sie den Chor.«
    Nach den Festlichkeiten im Theater zogen die Epheser zurück ins Artemision. Der offizielle Teil der Feiern war beendet, doch im Banketthaus begann nun erst das Volksfest, ausgelassen und von überschäumender Heiterkeit. Man räkelte sich auf hufeisenförmigen Sofas in kleinen Nischen, der schwere, feurige Wein floss in Strömen. Und die Liebe feierte ihr eigenes Fest.
E IN T EMPEL FÜR DIE G ÖTTIN
    Weit vor den Toren der Stadt, inmitten unberührter Natur, am Rande einer tiefen Meeresbucht lag das Artemision. Ein wahres Bauwunder, ein Traum in Weiß. Geschmückt mit Skulpturen der hervorragendsten griechischen Bildhauer, die es als eine große Ehre empfanden, wenn ihre Werke im Artemision aufgestellt wurden. Der Tempel diente also nicht nur als religiöse Kultstätte und Heiligtum, er war auch damals schon Museum. Und auch Schatzkammer, Depositenbank und Kreditinstitut, Sammelpunkt für Opfer, Geschenke und Spenden, Münzstätte, Vermögensverwaltung für die Stadt, aber auch für die Bürger. Geld und Wertsachen galten hier als besonders geschützt und absolut sicher. Auch aus diesem Grunde war der Tempel – wie viele andere auch – streng bewacht.

    Grundriß des Artemis-Tempels in Ephesos. (Nach A. Bammer)
    Wann der Fruchtbarkeitsgöttin in Ephesos erstmals ein Heiligtum errichtet wurde, ist unbekannt. Schon zur Zeit des sprichwörtlich reichen Königs Kroisus muss ein beachtlicher Tempel bestanden haben. Nach der Eroberung der Stadt bot der Lyder-König sofort an, den beschädigten Tempel zu restaurieren, ihn noch schöner und größer wiederherzustellen. Kroisus legte großen Wert darauf, gerade bei den Griechen angesehen zu sein; er verehrte die griechischen Götter und suchte sie, die Griechen, damit freundlich zu stimmen. Er beschenkte nicht nur Ephesos, sondern auch den Apollon-Tempel in Didyma, ein berühmtes Orakel in der Nähe von Milet. Auch dem Heiligtum von Delphi machte er großzügige Geschenke, begierig zu hören, was ihm die Zukunft bringen würde.
    Der Eroberer Kroisos wußte, was er der Göttin schuldig war: Tief verbeugte er sich vor dem Heiligtum der Artemis, das gerade – seit etwa 550 – nach den Plänen und unter der Leitung des Architekten Chersiphron aus Knossos und seines Sohnes Metagenes gebaut wurde. Als Baumeister war Theodoros von Samos verpflichtet worden. Was der Geschichtsschreiber und Weltreisende Herodot in seinen Geschichten erzählt, wird von der Weiheinschrift auf einer Säule bestätigt: dass nämlich König Kroisos die meisten mit Skulpturen geschmückten Säulen des Heiligtums gestiftet hat. Zahlreiche Weihegeschenke für Tempel und Göttin, darunter auch solche des Königs, sind noch heute erhalten.
    Herodot nannte als Baumaß des Tempels eine beachtliche Größe: fünfundsechzig mal einhundertfünfundzwanzig Meter. Im Mittelpunkt des Heiligtums befand sich die Cella, die das Kultbild der Artemis barg. Eine doppelte Säulenreihe umgab die Cella, einhundertsiebenundzwanzig Marmorsäulen von achtzehn Meter Höhe, ein Säulenwald, der die Besucher über die Maßen beeindruckt haben musste.
    Eine schon von Plinius präzise angegebene Säulenzahl: An der Rückseite waren neun Säulen, an der nach Westen ausgerichteten Vorderseite jedoch nur acht Säulen angeordnet. Ihr Durchmesser betrug ein Zwölftel des Höhenmaßes, fast 1,70 Meter. Für sich betrachtet, sind das trockene Zahlen, die nicht mehr aussagen, als erführe man die Körpermaße von Angelina Jolie in Zentimetern. Viel wichtiger sind die Proportionen: Entscheidend ist nicht, eine ungeheuer hohe Säule zu schaffen, sondern ihr ideales Verhältnis von Höhe zu Umfang. Und auch nicht die Menge der Säulen ist interessant, sondern der Abstand der Säulen zueinander, die

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