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Die sieben Weltwunder

Die sieben Weltwunder

Titel: Die sieben Weltwunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Thiele
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zersplitterte Kapitelle, zu Kalk verbrannte Marmorskulpturen. Entschlossen verboten sie bei Todesstrafe, den Namen des Brandstifters jemals auch nur zu erwähnen. Der verrückte Frevler hat sein Ziel trotzdem erreicht: Zerstörung aus Geltungssucht wurde fortan als »Herostraten-Tat« bezeichnet.
W O WAR DIE G ÖTTIN IN DER S CHICKSALSNACHT ?
    Warum hat Artemis ihr eigenes Heiligtum nicht zu schützen, den Brand nicht zu verhindern vermocht? Dass die Göttin, deren Standbild aus metallbelegtem Rebenholz unbeschädigt geborgen werden konnte, die Katastrophe des Tempels nicht hat verhindern können, bereitete den Gläubigen erhebliches Kopfzerbrechen. Erst später fand sich eine Erklärung, da der Brand des Artemis-Tempels mit einem anderen Ereignis verknüpft werden konnte, mit einem Namen, der die Flammen von Ephesos überstrahlte: Die Göttin, so hieß es, sei in der Schicksalsnacht abwesend gewesen, weil sie bei der Geburt des Königssohnes Alexander in Pella, der mazedonischen Königsresidenz bei Thessaloniki, helfend habe eingreifen müssen. In der Nacht, in welcher der Artemis-Tempel bis auf die Grundmauern niederbrannte, soll nämlich Alexander von Makedonien, den man schon zu Lebzeiten den Großen nannte, geboren worden sein. So konnte der brennende Tempel als ein großartiges Flammenzeichen gelten für die Geburt eines Mannes, der schon zu Lebzeiten vergöttlicht wurde.
D AS ZWEITE A RTEMISION
    Auch wenn die Kultstatue gerettet werden konnte: Die Vernichtung des Heiligtums war für die Epheser ein furchtbarer wirtschaftlicher Schlag. Doch die Rettung der Artemis-Statue schien ihnen ein Zeichen ihrer Gottheit zu sein, wirkte wie ein Fanal. So beschlossen sie, den Tempel wieder aufzubauen, am gleichen Ort, in gleicher Größe und Pracht, womöglich noch schöner, noch großartiger. Die Hellenen sahen darin eine gemeinsame, ja nationale Aufgabe, übertrafen sich an Opferbereitschaft. Aus ganz Griechenland trafen Spenden für das neue Heiligtum ein, Frauen trennten sich von kostbarem Schmuck, Geld wurde von weither, sogar aus dem Orient, geschickt. Mit der Bauleitung wurde der Baumeister Deinokrates beauftragt.
    Einhundertzwanzig Jahre bauten die Epheser an dem neuen Tempel der Artemis, bis sie den Neubau endlich nach der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. abschlossen. Der Grundriss des früheren Tempels wurde in allen Einzelheiten übernommen – Länge, Breite, Höhe identisch, Wand an Wand, Säule neben Säule, selbst die Verteilung der Säulenskulpturen war gleich. Nur wurde der neue Tempel jetzt auf ein Podest von dreizehn Stufen gestellt, so dass sein Niveau 2,68 Meter über dem älteren Tempel lag.
    Und auch die Göttin blickte wieder von Osten nach Westen, als Mittlerin zwischen Asien und Europa: Über allen Wirren der folgenden Jahrhunderte, über allem Blutvergießen und Sterben stand sie groß und mächtig und ehrfurchtgebietend über der Stadt, die schöner und prächtiger denn je wurde.
    Als im Alter von zweiundzwanzig Jahren der junge makedonische König Alexander im Befreiungskampf der Griechen an der Spitze von vierzigtausend Makedonen und Hellenen gegen die Perser zog, marschierte er zunächst auf das stark besetzte Sardes zu, das er unterwarf. Und rückte dann in Ephesos ein. Alexander ließ festliche Wettkämpfe veranstalten, befreite die Stadt von allen Abgaben und Steuern. Sichtlich bewegt stand er vor dem neuen, damals noch längst nicht fertigen Artemis-Tempel. Gleichsam unter den Augen der Göttin, mit der er so schicksalhaft verbunden gewesen sein soll, nahm er eine Truppenparade ab, so wie es mehr als zweitausend Jahre später Napoleon vor den Pyramiden tat.
    Alexander opferte der Göttin in gewohnter Großzügigkeit: Er bot den Ephesern an, den Weiterbau des Tempels zu finanzieren. Doch es scheint, als hätten die Würdenträger der Stadt befürchtet, ihre eigenen Bemühungen könnten vom Namen des großen Makedonen-Königs überstrahlt werden. Mit gebotener Vorsicht und mit dem Trick einer Schmeichelei lehnten sie die Offerte ab: Einer Gottheit das Haus zu bauen, käme den Menschen, nicht jedoch einem Gott zu. Der junge Alexander schien das respektiert zu haben; er bestand nicht weiter auf seinem Angebot.
    Das neue Weltwunder ging der Vollendung entgegen. Der Tempel der Artemis von Ephesos war viermal größer als der Parthenon in Athen. Das größte Heiligtum im griechischen Raum! Seine Ausstattung aus Marmor und Gold war von unübertreffbarer Kostbarkeit und ließ nichts zu wünschen

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