Die sieben Weltwunder
Zwischenräume. Sie erst ergeben und schaffen ein überwältigendes Raumgefühl.
Dieser »Säulenwald« im Artemision muss von solch einem unglaublichen Rhythmus, von solch geheimnisvoller Schönheit gewesen sein, dass er alle Menschen bezauberte. Licht und Schatten brachten zusätzliche Bewegung in die Architektur.
Sechsunddreißig Säulen – die sich aller Wahrscheinlichkeit nach an der Eingangsseite des Tempels befunden haben – waren mit Bildwerken und Skulpturen geschmückt.
Die Decken und der Dachstuhl des Tempels waren aus Zedernholz, den berühmten Zedern des Libanon, die Flügeltüren aus poliertem Zypressenholz. Die glänzenden Marmorböden spiegelten den Goldschmuck der Wände. Das Haus war von leuchtenden Farben erfüllt. Wie überhaupt die Statuen in der Antike nicht von kühler, marmorner Blässe waren, sondern bunt bemalt.
Das ältere Artemision. Seitenansicht der Vorhalle.
(Rekonstruktion von Fr. Krischen)
Die Fundamente waren, so gut es ging, erdbebensicher angelegt. Angekohlte Eichenstämme waren in den weichen sumpfigen Untergrund eingerammt worden, auf den Pfahlrost war Felsgestein aufgeschüttet. Ein festes Haus der Göttin also, wie für ewige Zeiten gegründet.
D IE S TATUE DER A RTEMIS
Noch überwältigender und imponierender als der Tempel muss der Eindruck der Artemis-Statue gewesen sein. Das ursprüngliche Kultbild von Ephesos aus Gold, Ebenholz, Silber und schwarzem Stein ist nicht erhalten. Die zahlreich erhaltenen Nachbildungen aus Stein und Marmor – vor allem aus der römischen Kaiserzeit – zeigen aber, von Varianten abgesehen, den immer gleichen Typus der Großen Mutter. Auch die Abbildungen auf den Münzen lassen Tempel und Kultbild deutlich erkennen und beweisen die unzerstörte und unzerstörbare Überlieferung.
Im Gegensatz zu anderen bekannten Tempeln blickte Artemis in Ephesos von Osten nach Westen, vom Sonnenaufgang zum Sonnenuntergang, von Asien nach Europa.
Die Kultstatue zeigte die Göttin des keuschen Tages und geheimnisvolle Herrscherin der Nacht, die berauschte Jägerin und schützende Mutter hilflos schweifender Tiere. Das Sinnbild des Kindlich-Einfachen und doch Unberechenbaren, mit einem feinen, bezaubernden Lächeln und dennoch wild und unerbittlich. Die Göttin der freien Natur stand den Betrachtern nicht in bewegter Gebärde, sondern frontal gegenüber, mit eng geschlossenen Beinen und Füßen, die Oberarme dicht am Körper, die Unterarme und Hände nach vorn gestreckt, als wolle sie geben und empfangen. Über einem leichten, nur an den Füßen und Armen sichtbaren Untergewand, dem Chiton, trug sie ein hautenges, lederartig wirkendes Kleid, Ependytes genannt, das Beine und Hüfte umspannte, geschmückt mit Reliefs von Löwen, Böcken, Rindern, Greifen, Rehen und den ihr heiligen Bienen. Auf den Armen und Schultern der Göttin saßen Löwen und Fabeltiere. Ihr feines, aus dem Marmor herausgearbeitetes Gesicht war bemalt und von goldenem Kopfschmuck umrahmt.
Die sogenannte „Schöne Artemis“. Römische Marmornachbildung der Kultstatue in Ephesos. (Museum Ephesos/Selçuk)
Vor dem Oberkörper trug die Göttin den Behang, den man als Vielbrüstigkeit und Symbol der Großen Mutter gedeutet hat. Noch immer gibt es nur Spekulationen und Vermutungen über diese eiförmigen Gebilde.
D IE T AT EINES W AHNSINNIGEN
Niemand konnte vorhersehen, dass nicht Naturgewalten und nicht der Krieg, sondern ein Verbrechen das Heiligtum zerstören würde. In einer Nacht des Jahres 356 v. Chr. wurde Artemis das Opfer eines Wahnsinnigen. Im Rausch legte ein Mann die brennende Fackel an den Tempel und das Bild der Göttin Artemis. Es ging alles rasend schnell. Rasch erfassten die Flammen die Gewänder der Statuen, die Weihegaben und Kultgeräte, die gesamte Inneneinrichtung. Die Göttin stürzte nieder, das Gebälk brach, die Säulen fielen der Reihe nach um. Das Feuer griff auf die hohen, mit Öl polierten Holztore über und schließlich auf die Dachkonstruktion. Die Flammen, die noch der Wind vom Meer verstärkte, schlugen hoch und vernichteten alles.
Um sich durch seine ungeheuerliche Tat unsterblich zu machen, nur aus diesem Grund, hatte Herostrat, ein Psychopath, der an krankhafter Geltungssucht litt, das Feuer gelegt und den Tempel angezündet, aus dem einzigen Wunsch heraus, mit dieser Wahnsinnstat von sich reden zu machen.
Am nächsten Morgen standen die Epheser fassungslos vor ihrem Heiligtum, das nur noch eine Ruine war: Säulen lagen umgestürzt in der Asche,
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