Die sieben Weltwunder
legendär (so sagenhaft, dass lange Zeit ein reicher Mann »Krösus« genannt wurde).
Die Weissagung der Pythia von Delphi, Kroisos würde, wenn er den Fluss Halys (die Grenze Persiens in Kleinasien) überschreite, ein großes Reich zerstören, stimmte ihn zuversichtlich. Doch erfüllte sich das doppeldeutige Wort auf entgegengesetzte Weise.
Während in Ephesos die Scharen junger Männer und schöngegürteter Mädchen durch das Koressostor auf der Prozessionsstraße singend und tanzend zum eineinhalb Kilometer entfernten Heiligtum zogen und die Göttin Artemis auf die Tänze der Priesterinnen und auf die ihr dargebrachten Opfer herablächelte, rüstete im iranischen Hochland in seiner Residenz Pasagarde der große Kyros sein Heer – Kyros, der König der Könige und Herrscher des Persischen Reiches. Gegen ihn hatte Kroisos keine Chance – kleinlaut musste er sich Kyros 546 v. Chr. geschlagen geben und wurde gefangen genommen. Sardes wurde von den Persern im Sturm genommen, auch Ephesos und alle griechischen Städte an der Westküste Kleinasiens kamen unter persische Herrschaft.
Derselbe Kyros nahm sieben Jahre später Babylon ein, entließ die Israeliten aus der babylonischen Gefangenschaft und gestattete – wie die Bibel berichtet – ihre Rückkehr nach Jerusalem.
Artemis blieb von allen Kämpfen und kriegerischen Auseinandersetzungen unberührt. Die Perser hatten nichts dagegen, dass am Artemis-Tempel in Ephesos weitergebaut wurde. Die Arbeiten an dem damals größten griechischen Tempel haben rund 120 Jahre gedauert.
Kyros starb 529 im Kampf tödlich verwundet, Könige kamen und gingen, zwei Jahrhunderte lang zogen Krieger von Osten nach Westen, wurden Schlachten geschlagen, Städte unterworfen und wieder befreit, Bündnisse geschlossen und wieder gelöst, stiegen Reiche auf und vergingen wieder. Aber es blieb das Volk der Griechen und seine Kultur. Unvergänglich blieb auch die Göttin Artemis und ihr Tempel zu Ephesos, Asyl aller Verfolgten und Ausgestoßenen, es blieben ihr Kult und ihre Feste.
Das berühmteste unter ihren Standbildern wurde in Ephesos verehrt; leider ist es verlorengegangen. Man hat jedoch in Ephesos noch drei Artemis-Statuen gefunden. Sie alle überliefern die große Bedeutung dieser Göttin, die von der Jugend verehrt wurde (vor der Hochzeit wurden ihr Opfer dargebracht), für schmerzlose Geburt sorgte, als Meisterin des Bogens aber auch den Tod brachte. Die Herrin des Mondes, der jungen Tiere, der Frauen und der Städte.
Über den Artemis-Kult sind wir gut unterrichtet: Glanzvolle Kultprozessionen zogen alljährlich der Göttin zu Ehren durch die Stadt. Im Tempel wurden Opfer dargebracht. Artemis-Standbilder, im Heiligtum aufbewahrt, wurden zum Stadttheater getragen, wo ein Festakt stattfand. An der Spitze des Festzuges schritt der Oberpriester, hinter ihm die schönste Jungfrau, die jedes Jahr zu diesem Anlass neu gewählt wurde: »Miss Ephesos« ließ sich als Artemis verkleidet, mit wehendem Gewand, eine Brust frei, von den Zuschauern bewundern. Stolz trug sie die Attribute der Göttin, Köcher, Speere und Bogen. Hunde umsprangen sie bellend.
Die Spektakel zog vor allem die Jugendlichen an. Es war nicht nur das Fest ihrer Göttin, es war ihr Fest, das tanzend und singend begangen wurde. Ein Fest, bei dem Mädchen und Jungen sich kennenlernten, flirteten und verliebten. Kein Wunder, dass der Festtag der Artemis als »Heiratsmarkt der Stadt« galt.
Langsam wälzte sich der Festzug durch die Prozessionsstraße, durch das Tal zwischen den beiden Bergen zum steinernen Theater. Das Schauspiel in diesem besonders großen und schönen Bau war der Höhepunkt des Tages. Hier wurden normalerweise auf einer riesigen Bühne mit einem grandiosen Chorraum vor über dreißigtausend Zuschauern die Stücke von Aischylos, Euripides und Aristoteles aufgeführt. Der Chor vertrat die öffentliche Meinung und war deshalb besonders beliebt, während die Schauspieler symbolische Rollen spielten, sich als Sinnbild sahen, als Maske oder Schatten. Handlungen wie Zweikampf oder Mord wurden zwar hörbar für die Zuschauer erzählt, gespielt jedoch nur hinter der Bühne, unsichtbar für das Publikum. Das Theater sollte nicht etwa Realität widerspiegeln, sondern ein Mysterium versinnbildlichen. Komödien und Tragödien, Oden und Epen wechselten sich ab, in Darstellung, Mimik und Sprache vorzüglich dargestellt, voller Spannung und Dramatik. Jeder Ton, noch so leise geflüstert, drang in dieser
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