Die siebte Gemeinde (German Edition)
Öffnung, schlängelte sich hindurch und rappelte sich auf der anderen Seite auf. In diesem Moment spürte sie eine Hand auf ihrem Mund und wie sie gleichzeitig von hinten umklammert wurde. Der Griff war hart, und sie fühlte die Fingernägel ihres Gegners durch Jacke und Pullover hindurch.
»Ganz ruhig«, hörte sie eine Stimme in ihr Ohr flüstern. »Oder es ist das Letzte, was du tust.«
Gustav Heinrich saß in seinem Büro und brütete unruhig über den Dokumenten, die Elias ihm überlassen hatte. Ein konzentriertes Arbeiten fiel ihm schwer. Seine Gedanken schweiften ständig zu Emma und Elias ab, die sich gerade unterhalb der Stadt befinden mussten und ihre wahnwitzige Idee in die Tat umsetzten. Sofern es überhaupt möglich war, einen Weg durch die Mauer zu finden. Er konnte es sich nicht vorstellen, dass es machbar war. Er, einer der Historikexperten der Stadt, sollte doch schon davon gehört haben, dass es einen Kriechgang unter der Stadt gibt. Aber vielleicht befürchteten die Stadtoberen, dass Heerscharen von Archäologen und Historikern über Köln herfallen würden, und hielten den Geheimweg daher für sich?
Er hasste es, untätig in seinem Büro herumsitzen zu müssen. Seine Übersetzungen waren abgeschlossen und sollten soweit einwandfrei sein. Sofern man in der Eile, in der er handeln musste, von einwandfrei sprechen konnte. Nein, er fragte sich vielmehr, ob sie in ihrer Euphorie etwas außer Acht gelassen oder übersehen hatten. Gustav war lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass man durch solche Dokumentenfunde, wie sie vor ihm lagen, in einen regelrechten Rausch verfallen konnte. Man geriet in einen Tunnel und hatte kein Auge mehr für Nebenschauplätze. Er selbst hatte sich von den beiden anstecken lassen und wurde von der Begeisterung mitgetragen. Doch jetzt, als er zur Ruhe kam, wurde er nachdenklich. Zwei Menschen waren ums Leben gekommen. Einer davon war Robert Seydel. Ein guter Freund von ihm. Er konnte sich noch gut an Robert erinnern. Selten hatte er einen solch enthusiastischen Antiquitäten-Narren kennengelernt. Stundenlang hatten sie über historische Zusammenhänge von seinen Schätzen diskutiert. Als Geschäftsmann war Robert stets darauf bedacht, eine interessante historische Verbindung zu finden, um seinen Stücken einen höheren Wert zuzuschreiben.
Gustav überlegte, womit der ganze Wahnsinn um dieses Dokument, den angeblichen Brief Johannes’ an die Siebte Gemeinde, angefangen hatte? Begonnen hatte es vor zwei Wochen, als Emmas Kollege tödlich verunglückte. Die Ehefrau hatte ihnen bestätigt, dass er umgebracht wurde. Doch warum ausgerechnet Emmas Kollege? Etwa nur, um Druck auf seine Frau auszuüben, oder doch wegen etwas anderem? Vielleicht hatte er was entdeckt? Etwas, was er nicht hätte herausfinden dürfen. In der eigenen Kanzlei vielleicht? Schließlich wurde Emma selbst wenig später mit hineingezogen. Alles nur ein Zufall?
Gustav hatte eine Ahnung. Er schob die Dokumente beiseite, schaltete seinen Computer ein, startete eine Suchmaschine im Internet und gab den Namen von Emmas Kanzlei ein. Er fand die entsprechende Homepage und suchte dort nach den Mitarbeitern. Er hoffte, dass man Bilder der Angestellten sehen konnte. Als er sich nach und nach die einzelnen Gesichter angeschaut hatte, stoppte er plötzlich. Einer kam ihm so seltsam bekannt vor. Nein, er war sich sicher, dass er in diese Augen schon einmal geblickt hatte. Er musste ihn sich nur mit einer dunkelblauen Mütze vorstellen, die er tief über seine Stirn gezogen hatte. Das war der Kerl, der ihn gestern überfallen hatte.
Unverzüglich griff Gustav zum Telefonhörer und wählte eine Nummer.
Emma wand sich im Griff ihres Häschers, stoppte aber ihre Bemühungen, als er ihr eine erneute Warnung zuflüsterte. Die Stimme kam ihr merkwürdig bekannt vor. Sie konnte jedoch nichts erkennen. Ihre Taschenlampe war ihr zuvor auf den Boden gefallen.
»Alles klar bei dir?«, fragte Elias, der im Begriff war, durch das Loch zu kriechen. Auf halben Weg hielt er inne, weil er mit seiner Lampe, die er vor sich hergeschoben hatte, auf vier statt auf zwei Füße leuchtete.
»Raus da!«, befahl ihm eine männliche Stimme. »Und ganz langsam auf die Beine.«
Elias tat, was ihm gesagt wurde. Er hob beide Hände, beließ die Taschenlampe aber in seiner linken, um seinen Gegner anleuchten zu können. Der Mann, der Emma im Griff hatte, trug eine Brille mit rundlichen Gläsern, und er hatte braune halblange
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