Die siebte Gemeinde (German Edition)
doch zur erzieherischen Maßnahme. Das konnte er aus eigener Erfahrung bestätigen.
Er hoffte nur, dass es dem Jungen tagsüber nicht gelang, sich zu befreien. Zweimal täglich sah er nach ihm. Gleich frühmorgens und am Abend. Eben dann, wenn er sich ungesehen zu ihm schleichen konnte. Er versorgte ihn mit dem Nötigsten, setzte Knebel und Fessel neu an, und ließ ihn anschließend in der Dunkelheit alleine. So Gott wollte, nur noch zwei oder drei Tage.
Doch das war jetzt nebensächlich, morgen müsste er sich als Erstes um den Professor kümmern … wie intensiv, das würde der Meister entscheiden.
KAPITEL 11
Arusch saß alleine in seinem Zimmer, welches er nachts mit Pardus, Nazares sowie dem kleinen Fabius teilen musste. Er wollte an seinen Unterlagen arbeiten, die er in den letzten Tagen gezwungenermaßen hatte vernachlässigen müssen.
Zwei Tage waren nach seiner Ankunft bei Petronia, Bore und Viktorianah vergangen, und der Kummer, der über allen schwebte, war den ganzen Tag greifbar. Mehrmals täglich patrouillierten Ritter auf der Straße und jedes Mal war ein Aufatmen zu spüren, dass sie tatenlos vorbei marschierten. Selten war ein Lachen im Haus zu hören. Selbst die Kinder verhielten sich eigenartig ruhig. Arusch konnte sie gut verstehen. Grund zur Freude gab es wenig.
Bores Schicksal, den Tod ihres Mannes, hatte er selbst mit heraufbeschworen. Pardus hatte seine gesamte Existenz verloren und ließ keine Sekunde verstreichen, es jedem unter die Nase zu reiben, und Petronias Ehemann fiel bereits während der ersten Angriffswelle vor mehreren Monaten. Seither versuchte sie, die heruntergekommene Korbflechterei mit ihrer jüngeren Schwester Viktorianah aufrechtzuerhalten. Einer Witwe wurde dies gestattet, doch war es ein nahezu unmögliches Unterfangen.
Arusch selbst beklagte zwar keinen Verlust, auch wenn seine Familie sich unendlich weit fort befand, war aber durchaus unzufrieden über den Verlauf seiner Reise. Hatte er in seinem Versteck vor der Stadt noch einen Funken Hoffnung verspürt, seinen Plan umsetzen zu können, als er auf Pardus stieß, schwand dieser fast vollends, als er ergebnislos durch den leeren Blachernen Palast gelaufen war und einen Tag später dem zukünftigen Kaiser der Stadt vorgeführt wurde.
An wen sollte er sich jetzt wenden? Wem konnte er trauen? Dem neuen Patriarchen? Einem der Kreuzritter? Eigentlich wollte er nur seine Dokumentenrolle in sicheren Händen wissen und zurückreisen. Er überlegte, ob er Othon de la Roche nach Norden folgen sollte? Dieser besaß vermutlich das Tuch. Vielleicht war er ein vernünftiger Mensch, und man konnte mit ihm reden? Ein Plünderer war er, das mit Gewissheit, aber möglicherweise auch einsichtig? Jeden Tag, den Arusch verstreichen ließ, entfernte sich Othon einen weiteren Schritt von der Stadt weg.
Arusch versuchte, sich seine innere Unruhe von niemandem anmerken zu lassen. Selbstlos hielt er sein Versprechen ein, den drei Frauen zu helfen. Sie hatten wesentlich größere Schwierigkeiten als er zu bewältigen. Schwierigkeiten an denen er eine Mitschuld trug. Arusch half, wo er konnte, nicht ohne gleichzeitig gehörige Vorsicht außer Acht zu lassen. Bei Tageslicht verließ er das Haus so gut wie nie. Arbeiten im Freien versuchte er zu unterlassen, und Einkäufe von Lebensmitteln übertrug er Pardus oder Nazares. Er wollte von niemandem angesprochen werden, auch wenn eine Händlerstadt wie Konstantinopel, Fremde gewohnt war. Zu oft hatte er in letzter Zeit flüchten müssen. Lediglich im Hinterhof des Gebäudes, in dem Petronia ihre Körbe flocht und aufbewahrte, ließ er sich hin und wieder blicken. Dort konnte er von keinem Menschen gesehen werden.
Um Geld mussten sie sich die nächsten Tage keine Gedanken machen. Sie konnten von den Solidos leben, die sie Georgios in dessen Schreinerei abgenommen hatten. Pardus hatte sich zunächst gesträubt, die Münzen aus seinen Taschen hervorzuholen. Er hatte wohl insgeheim gehofft, dass Arusch und Nazares sie vergessen würden, ließ sie aber mürrisch auf den Tisch fallen und übergab sie Petronia mit einem gequälten Lächeln. Sorgfältig eingeteilt sollte das Geld einige Wochen ausreichen.
»Was sind das für Papiere, die du dort hast?«
Arusch schaute von seinen Dokumenten auf. Er war es mittlerweile gewohnt, dass jemand nach ihm schaute, sobald er sich für wenige Minuten zurückzog. Bei sechs Kindern im Haus, nicht zu verhindern. Doch diesmal stand keines der Sprösslinge vor
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