Die siebte Gemeinde (German Edition)
Wind vom Morgen frischte energisch auf und blies den beiden ins Gesicht. Emma schloss bibbernd ihre Jacke bis zum Hals und schlug sich ihren Kragen in den Nacken. Angewidert stierte sie in den Himmel. »Bäh, sieht aus, als wäre es mitten in der Nacht.«
In der engen Gasse strömten Hunderte von Passanten in die Läden und wieder hinaus. Emma wurde von einer Mutter, die ihr Kind entnervt aus einer Boutique herauszerrte, beinahe über den Haufen gerannt.
»Ich will aber keine andere Hose anprobieren«, beschwerte sich das Mädchen. Sie schüttelte ihren Kopf, dass ihre geflochtenen Zöpfe hin und her flogen. »Was war denn falsch an der, die ich hier anprobiert habe?«
Die Mutter schleppte ihr Kind am Arm quer über die Straße zum dortigen Geschäft. »Wenn du möchtest, dass ich dir für die nächsten zwei Jahre das Taschengeld streiche, kannst du dir gerne eine Hose für 250 Euro kaufen.«
»Aber Mama, das war doch eine …«
»Und wenn es eine mit Diamanten besetzte Goldhose des Kaisers von China gewesen wäre, würde ich sie dir nicht kaufen«, unterbrach die Mutter ihren Sprössling. »Schluss mit der Diskussion. Du hast jetzt noch exakt eine Möglichkeit, dich für eine vernünftige Hose zu entscheiden, oder du gehst im Jogginganzug zu Karos Geburtstag. Ist das klar?«
Emma warf Elias einen verschmitzten Blick zu. »Einkaufen ist schon was Tolles, oder nicht? Wenn ich das so höre, bekomme ich richtig Lust auf eine eigene Shoppingtour.«
Elias hob die Arme. »Verschone mich. Diese Geschäfte hier sehen mich nur in den dringendsten Notfällen von innen.«
»Ach, warum?«, meinte Emma, die an ihm auf und ab blickte. »Du siehst doch recht adrett aus.«
»Danke.« Er zupfte verlegen an seinem Wintermantel. »Aber du weißt, dass ich am Liebsten meine karierten Wollhemden trage.«
»Ja, ich weiß«, nickte Emma. »Doch beruhigend zu sehen, dass du dich auch vernünftig kleiden kannst, wenn es darauf ankommt.«
Elias verzog sein Gesicht. »Du hast auch immer eine freche Spitze für mich parat, was?«
Emma antwortete nicht, grinste ihn nur mit einem Augenzwinkern an.
»Was glaubst du?«, fragte sie, während sie sich im Slalom durch die einkaufswütige Masse kämpften. »Warum hat dieser Matteo, gerade mich für diese E-Mail-Reime ausgewählt? Er scheint regelrecht versessen darauf zu sein, dass gerade wir beide uns um diese Dokumente kümmern sollen. Wenn er so heiß darauf ist, an irgendwelche Papiere oder Bücher zu kommen, warum macht er es dann nicht selbst?«
»Das ist eine gute Frage«, nickte Elias, der seine Hände tief in die Jackentasche gesteckt hatte, um mit eingezogenen Ellenbogen den entgegenkommenden Menschen besser ausweichen zu können. »Nicht nur, dass er gerade dich beziehungsweise uns ausgewählt hat, er tut es auch in komplizierten Reimen. Ein einfaches ›geh in das Parkhaus, steig in die Mauer und suche ein Buch‹ hätte genauso gut seinen Zweck erfüllt. Irgendwas ist gehörig faul an dieser Geschichte.«
»Das stimmt. Alles sehr merkwürdig. Zum einen scheint er zu wissen, dass irgendwo alte Dokumente zu finden sind, zum anderen weist er auf Orte hin, wo man zusätzlich suchen soll. Aber anstatt die Sache selbst in die Hand zu nehmen, lässt er uns die Drecksarbeit machen. Nicht zu vergessen, dass die Nachrichten einen drohenden Unterton hatten … und, äh, und die Sache mit deinem Vater kommt auch noch dazu.«
»Oh, ich glaube nicht, dass Matteo und der Mörder meines Vaters ein und dieselbe Person sind«, sagte Elias. »Ich denke, wir haben es mit mindestens zwei Personen zu tun. Es würde keinen Sinn machen, mich mit der Suche nach einem Dokument zu beauftragen und gleichzeitig einen Mann zu töten, der viel eher hätte helfen können.«
»Dann hat Matteo Angst vor irgendjemandem und getraut sich nicht, es selbst zu suchen«, vermutete Emma.
»Möglich wäre es. Dann würde dieses Rätselraten in Reimform einen Sinn ergeben.«
»Er muss sich aber ziemlich sicher gewesen sein, dass wir die Rätsel lösen«, warf Emma ein. »Von alleine wäre ich niemals auf eine Verbindung mit dem Dom gekommen.«
Es fing an zu tröpfeln, und sie beschleunigten ihren Gang. Gerade als sie die Einkaufsstraße verlassen wollten, blieb Emma abrupt stehen. »Kannst du mir erzählen, warum ich die ganze Zeit artig neben dir herlaufe? Ich wohne doch genau in der entgegengesetzten Richtung.«
»Ach so.« Elias wirkte überrascht. »Ich dachte, wir gehen wieder zu mir. Deshalb habe ich auch
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