Die siebte Gemeinde (German Edition)
gar nichts weiter gesagt.«
Emma schaute auf ihre Armbanduhr. »Es ist bereits nach 16 Uhr. So langsam sollte ich mich nach Hause machen. Ich habe dich schon viel zu lange belästigt.«
»Och, schade, ich dachte, wir arbeiten noch an meinem Jahresabschluss, oder so.«
Emma riss ihre Augen auf. »Im Ernst jetzt? Wie kannst du nach einem Tag wie diesem, noch an deinen Jahresabschluss denken? Selbst mir würde das schwer fallen, und ich habe im Gegensatz zu dir tagtäglich mit solchem Scheiß zu tun.«
Elias blickte ertappt vor sich auf den Boden. »Na ja«, begann er kleinlaut, »ich wundere mich ja selbst, aber je mehr ich über die Geschehnisse nachdenke, desto mehr habe ich das Bedürfnis auf keinen Fall alleine zu sein. Die ganze Sache wühlt mich mehr auf, als es nach außen hin den Anschein hat. Ich wäre froh über jede Abwechslung, die mir vor die Füße fällt. Gestern Abend wäre ich beinahe wahnsinnig geworden, als ich in meiner Wohnung herumgesessen habe. Um ein Haar hätte es mich in die nächste Kneipe verschlagen, um mir ein paar Kölsch hinter die Binde zu gießen und mich mit dem Wirt über den Sinn des Lebens zu unterhalten.« Er zuckte unbeholfen mit den Schultern. »Und wenn ich die Möglichkeit habe, mich bei den Arbeiten zu meinem Jahresabschluss etwas abzulenken, sollte ich das ausnutzen. Auch wenn ich nicht damit sagen möchte, dass ich dich mit einem Wirt in der nächstgelegenen Kneipe vergleiche. Nur für den Fall, dass du wieder eine Frechheit auf Lager hast.«
Emma zögerte keine Sekunde. »Na gut, überredet. Aber Termine am Samstagnachmittag kosten selbstverständlich doppelt.«
»Kein Problem, das ist es mir wert«, sagte Elias mit einer lässigen Handbewegung. »So lange werden wir ja nicht brauchen, dass ich mir dafür einen Kredit aufnehmen muss.«
Sie schlug ihm kumpelhaft auf die Schulter. »Hey, war doch nur Spaß. Natürlich wird dich das überhaupt nichts kosten, – obwohl, wenn ich es recht überlege, berechnet meine Kanzlei seit Neuestem für Samstagnachmittagstermine eine Pizza Thunfisch mit doppelt Käse, pünktlich lieferbar um 19 Uhr.«
Elias schaute sie skeptisch an. »War das jetzt auch Spaß, oder …?«
»Das war kein Spaß«, fiel Emma ihm ins Wort und lief einen energischen Schritt voraus. »Mit Pizza mache ich niemals Späße, merk dir das. Die wird es dich kosten, das kannst du ruhig glauben.«
Es donnerte, und sie stierten überrascht in den Himmel. »Was ist das denn für eine Scheiße«, schimpfte Emma. »Herrje, es ist arschkalt. Es ist Ende Februar, und es donnert. Das Wetter wird immer verrückter. Los jetzt, sonst werden wir noch vom Blitz erschlagen.«
Nachdem sie zwei Stunden damit verbracht hatten, Elias’ Unterlagen zu durchforsten, tippte Emma mit ihrem Stift auf die ausgedruckte E-Mail mit ihren Rückfragen. »Eine einzige Frage hätte ich noch, dann wären wir durch.«
»Schieß los«, sagte Elias und rieb sich erwartungsvoll die Hände.
»Die Inventur fehlt.«
»Als hätte ich mir das nicht denken können. Dabei könnte ich schwören, dass ich die dir längst gegeben habe.«
»Ja, ja.« Emma nickte übertrieben mit ihrem Kopf. »Wer es glaubt, wird selig. Den Spruch bekomme ich so häufig zu hören, dass ich ihn mittlerweile in vier Sprachen beherrsche.«
»Prima, dann hätte ich ihn gern auf Spanisch gehört.«
Emma hielt grinsend ihre Handflächen nach oben. »Inventario, aber supido, Señor Seydel. Comprende?«
Elias zeigte nach oben zur Decke. »Inventario in Obergeschossos, Señora Kemmerling.« Er sprang von seinem Platz auf. »Warte, ich bin gleich wieder zurück.«
Emma goss sich den letzten Schluck Kaffee in ihre Tasse und blickte entspannt ins Nichts. Das sanfte Surren des Computers wurde vom darüber stehenden Schreibtisch fast vollständig verschluckt, der Kühlschrankventilator hatte aufgehört zu brummen, und die Kaffeemaschine, die kurz zuvor immer wieder ein Röcheln von sich gegeben hatte, war ausgeschaltet. Außer Elias’ dumpfen Schritten, der im oberen Stockwerk von einer Ecke zur anderen lief, herrschte fast völlige Stille.
Emma schaute gedankenverloren, ihre Tasse genussvoll in beiden Händen haltend, gegen das Fenster auf der gegenüberliegenden Seite. Das Unwetter hatte mittlerweile nachgelassen, und die Nacht war hereingebrochen. Der immer noch wolkenverhangene Himmel ließ kein Fünkchen Licht auf den Planeten. Völlige Dunkelheit herrschte hinter dem Fenster, und wenn sie es lang genug anstarrte,
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