Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die siebte Maske

Die siebte Maske

Titel: Die siebte Maske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
Vom Netzwerk:
wieder in der Lage war, Anweisungen zu befolgen, veranlaßte er sie, sich vorzubeugen, bis ihr Kopf die Knie berührte, damit das Blut ins Gehirn zurückströmen konnte. Aber auch nachdem der Ohnmachtsanfall vorüber war, sah Adrienne Haven noch immer nicht gut aus.
    »Ich sollte sie wirklich nach Hause bringen«, sagte Kyle. »Es tut mir sehr leid, Mrs. Karr, das Abendessen war wirklich vorzüglich –«
    »Denken Sie nicht ans Abendessen«, sagte Nancy schnell. »Mike, du bist doch behilflich?«
    »Natürlich«, stimmte Mike zu. »Ich komme mit, Doktor Kyle.«
    »Danke«, sagte Kyle ergeben und bemerkte nicht einmal, daß er auf einmal wieder seinen Titel führte.
    Eine Stunde später befand Adrienne sich im Schlafzimmer im ersten Stock ihres Hauses. Aber ihr Vater zögerte, Mike gehen zu lassen.
    »Trinken wir noch einen Cognac im Arbeitszimmer«, schlug er vor. »Ich habe mir erlaubt, diese kleine Neuerung nach Walters Tod einzuführen – eine Flasche Cognac.«
    »Gut«, sagte Mike, der spürte, daß der alte Mann einen Gesprächspartner brauchte.
    Und sein Gefühl trog ihn nicht.
    »Morgen wird Adrienne sich deswegen schreckliche Vorwürfe machen«, sagte er. »Sie hatte sich schon so auf diesen Abend gefreut; Sie müssen wissen, sie hält große Stücke auf Sie und Mrs. Karr.«
    »Wir werden den Abend sehr bald nachholen.«
    »Sie begreifen doch, daß Adrienne nicht wirklich krank ist?«
    Mike, dem die Pillendose einfiel, sagte nichts.
    »Das alles war eine ungeheure Belastung für sie«, fuhr Kyle fort. Dann schnaubte er. »Was für eine dumme Phrase! ›Ungeheure Belastung!‹ Als ob man damit beschreiben könnte, was sie durchgemacht hat!«
    »Ich weiß«, sagte Mike. »Erst der Tod ihres Gatten und jetzt die Sache mit Tony Jerrick.«
    Kyle runzelte die Stirn. Er ging und schenkte freigebig Cognac ein.
    »Es wäre ein Fehler, anzunehmen, daß Adriennes Probleme erst mit dem Tod ihres Mannes begonnen haben.«
    »Das habe ich auch nie angenommen.«
    »Was meinen Sie also?« Der alte Mann blickte Mike über den Rand seiner Brille hinweg fast herausfordernd an.
    »Nichts Bestimmtes. Ich bin ihr Rechtsanwalt und nicht ihr Psychiater.«
    »Und ich bin ihr Vater«, sagte Kyle, »nicht ihr Arzt. Und ich fürchte sehr, die Ursache für alle Schwierigkeiten – bin ich.«
    »Wieso?«
    Kyle seufzte. »Es ist der Lauf der Welt. Ich habe als Vater Fehler gemacht – vermutlich, weil meine Eltern bei mir auch Fehler gemacht haben. Und jetzt erbt Adrienne sozusagen die Fehler der vergangenen Generationen.«
    »Was für Fehler haben Sie gemacht?«
    »Da war ihre Mutter«, antwortete Kyle. »Damit hat es angefangen. Als Adrienne erst ein paar Jahre alt war, kam ich zu der Überzeugung, daß ich ihre Mutter nicht mehr liebte, und ich verließ sie wegen einer Frau, die ich zu lieben glaubte. Ebenfalls eine Illusion, wie sich herausstellte.«
    »Und was geschah?«
    »Unglücklicherweise starb ihre Mutter. Nicht etwa am gebrochenen Herzen, wie ich hinzufügen möchte. Eine gebrochene Wagenachse hatte an ihrem Tod schuld. Natürlich sorgte ich für Adriennes Erziehung und Lebensunterhalt, aber wie ich mich als schlechter Ehemann erwiesen hatte, so erwies ich mich auch als schlechter Vater.«
    Mike bemerkte vorsichtig: »Ich bin nie dahintergekommen, nach welchen Regeln die Qualitäten eines Vaters gemessen werden.«
    »Nun, eine Regel habe ich jedenfalls verletzt. Ich war nicht in der Lage, ihr finanzielle Sicherheit zu bieten.« Kyles Glas war leer. »Ich vermute, das wissen Sie nicht, Mr. Karr, aber ich bin dafür verantwortlich, daß meine Tochter Walter Haven geheiratet hat. Ich habe die Sache eingefädelt.«
    »Ich kann darin nichts Böses sehen.«
    »Ich schon«, sagte Kyle. Die aufkeimende Bitterkeit spülte er mit einem Schluck aus dem nachgefüllten Cognacglas hinunter. »Sehen Sie, sowie ich mich in Monticello niedergelassen hatte, bin ich einem guten Klub beigetreten. Einem Klub, wo ich Leute wie beispielsweise
    Walter Haven kennenlernen würde. Und als es soweit war, stellte ich mit Genugtuung fest, daß ich jemanden gefunden hatte, der sich ernsthaft für meine Tochter interessierte.«
    »Adrienne hat mir erzählt, daß sie ihn durch Sie kennengelernt hat.«
    »Aber ich fürchte, es war kein Zufall, sondern blanke Berechnung. Ich hatte bereits entschieden, daß dieser reiche, ehrgeizige, nicht mehr ganz junge Herr der ideale Kandidat war. Wenn ich schon sonst nichts für mein kleines Mädchen tun konnte, dann konnte

Weitere Kostenlose Bücher