Die siebte Maske
nachdenklich. »Ehrlich gesagt, wenn du nicht darauf bestehst, würde ich es lieber nicht. Denn hier liegt etwas viel Wichtigeres vor als ein Fall von Körperverletzung. Ein größeres Verbrechen.«
»Was für ein Verbrechen?«
Mike stand auf.
»Erpressung, Phil. Das ist der wahre Titel für Joachim Frys künstlerische Darbietung.«
»Erpressung? Wie kommst du darauf?«
»Es ist die einzige sinnvolle Erklärung für das Vorgefallene. Nicht, daß bei einem Verrückten wie Fry unbedingt alles sinnvoll sein muß. Aber verstehst du denn nicht? Warum sollte eine Gruppe von Leuten einen Pianisten mit Spenden unterstützen, den sie offensichtlich verabscheuen?«
»Da bin ich überfragt«, brummte Phil.
»Sie haben gezwungenermaßen gespendet. Weil Joachim über Mittel verfügt, sie zur Kasse zu bitten – Mittel, die seine musikalischen Fähigkeiten bei weitem übersteigen.«
»Warum dann der Klavierabend? Warum ›Joachims Freunde‹?«
»Um den Tatbestand der Erpressung zu verschleiern. Um sozusagen eine legale Veranlassung für die ›Spenden‹ zu konstruieren. Etwas, womit Joachim sich rechtfertigen kann, wenn es Zeit wird, Einkommensteuer zu zahlen. Und vielleicht kommt noch etwas anderes hinzu …«
»Zum Beispiel?«
»Vielleicht ist Fry krank«, meinte Mike. »Vielleicht ist bei Fry eine Schraube locker, und er steht unter dem Zwang, seine Opfer mit Musik zu quälen.«
»Komische Art, jemanden zu quälen. In Wirklichkeit«, fügte Phil widerwillig hinzu, »spielte Fry nämlich gar nicht schlecht. Es könnte sogar sein Beruf sein …«
»Vielleicht war es früher sein Beruf. Jetzt hat er einen neuen – Erpressungsgelder einkassieren.«
»Aber warum die Masken?«
»Nun, das liegt doch eigentlich auf der Hand. Wenn du einem Erpresser in die Hände fällst, würdest du dann wollen, daß alle Welt es weiß?«
»Natürlich nicht.«
»Fry kann seine Opfer nur dann in ein und demselben Raum versammeln, wenn er sie zwingt, Masken zu tragen. Damit sie einander nicht erkennen. Wahrscheinlich ist jeder dieser Klavierabende ein Maskenfest.«
»Und als sie merkten, daß ich nicht dazugehöre –«
»- haben sie dich hinausgeworfen, und das Gesetz gibt ihnen sogar das Recht dazu. Aber ich stimme dir zu«, sagte Mike und biß sich auf die Lippen. »Wir werden keine Anzeige erstatten. Denn wir haben immerhin etwas von höchster Wichtigkeit erfahren.«
»Was?«
»Daß Walter Haven erpreßt worden ist.«
Phil stieß trotz seiner verletzten Lippen einen Pfiff aus. »Natürlich! Haven hatte eine Einladung bekommen, also gehörte er zu den ›Freunden‹. Aber warum wurde er erpreßt?«
»Das weiß ich nicht. Aber wenn wir es herausfinden«, sagte Mike beinahe glücklich, »wenn wir den Grund erfahren, warum er erpreßt wurde, so kennen wir vermutlich auch den Grund, warum er Selbstmord verübt hat!«
Seine Stimme klang triumphierend. Phil antwortete darauf mit einem Grinsen.
»Mensch, du hast recht. Es ist der erste Hinweis, bei dem wir einhaken können.«
Jetzt strahlte Mike richtiggehend.
»Phil, du hast dich um die gute Sache verdient gemacht. Sobald du hier wieder draußen bist, kaufe ich dir das größte Steak, das sich in Monticello auftreiben läßt.«
»Warum nicht jetzt gleich?« fragte Phil. »Roh? Für mein blaues Auge?«
Auch Martha Marceau schien Steaks im Sinn zu haben. Als Mike am nächsten Morgen das Dienstzimmer des Polizeichefs betrat, telefonierte sie gerade mit dem Metzger und erbat sich besonders schöne Fleischstücke für das geplante große Wochenendmahl. Mike grinste; der Anblick ihres hübschen herzförmigen Gesichts und das Hausfrauengeplapper am Telefon verliehen der nüchternen Atmosphäre der Dienststelle direkt etwas Anheimelndes. Als jedoch Bill aus seinem Büro herauskam, schien er nichts dergleichen wahrzunehmen. Er schaute Martha an, die gerade auflegte und sagte: »Ich war eben dabei, dir zu melden, daß Mike –«
»Nicht nötig«, brummte Bill. »Ich sehe selbst, daß er hier ist.« Er hielt dem Anwalt die Tür auf. »Nimm alle Gespräche für mich entgegen, Martha«, sagte er. »Aber stör mich nicht wegen jeder Kleinigkeit, ja?«
»Und was ist mit den Akten, die ich dir heraussuchen soll? Willst du die gleich haben?«
»Ja doch. Such sie heraus.« Im Büro ließ sich Bill seufzend auf seinen Drehstuhl plumpsen.
»Das klingt nicht so gut«, stellte Mike fest. »Das klingt wie ein Seufzer der Enttäuschung.«
»Das ist es auch.« Bill legte die Stirn in Falten.
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