Die siebte Maske
tätschelte seine Hand. Eldon Kyle hatte den Doktortitel vor zehn Jahren abgelegt, als er sich aus dem Berufsleben zurückgezogen hatte und nach Monticello übergesiedelt war. »Entschuldige«, sagte sie. »Aber in diesem Haus bist und bleibst du der Doktor.«
»Dann solltest du auch meine Anweisungen befolgen.«
»Verordne mir ein Rezept«, sagte Adrienne.
»Sehr gern«, meinte Eldon Kyle. »Etwas weniger essen, eine Menge weniger trinken und viel, viel Ruhe. Im Ernst, Adrienne, am liebsten wäre es mir, du würdest irgendwohin fahren, wo es sonnig und warm ist. Wir könnten eine kleine Kreuzfahrt miteinander machen …«
»Ich kann nicht weg, Dad. Nicht jetzt.«
»Warum nicht?«
»Weil – wegen allem.«
»Die gerichtliche Untersuchung ist überstanden, Baby. Niemand wird dich mehr belästigen.«
»Doch, die Polizei. Und die Versicherung. Und die Zeitungen – die werden nicht so leicht lockerlassen.«
»Doch, Liebes, mit der Zeit schon. Vielleicht findet die Polizei den Mann, der den armen Walter getötet hat, diesen Einbrecher oder wer auch immer es war –«
»Glaubst du wirklich?« fragte Adrienne mit verschleiertem Blick.
»Nun, wer weiß? Manchmal werden solche Leute trunksüchtig oder frömmlerisch oder schwachsinnig – und gestehen ihre Verbrechen. Oder er ist irgendwohin geflohen, Tausende von Meilen weit weg. Vielleicht trampt er gerade in einem Güterwaggon nach Milwaukee, oder er hat sich im Missouri ertränkt … Wer weiß, wozu solche Leute imstande sind!«
»Ich glaube nicht, daß sie ihn jemals finden werden«, sagte Adrienne. »Und weißt du was? Es ist mir egal. Es würde doch nichts ändern, oder? Wenn man ihn erwischt, meine ich. Es würde Walter nicht wieder lebendig machen.«
»Nein, das stimmt«, bestätigte ihr Vater düster.
Julians Kopf erschien in der Tür, die Lichter glänzten auf seiner Kopfhaut und seinen Goldzähnen.
»Noch ein Wunsch, Mrs. Haven? Darf ich den Kaffee servieren?«
»Ja, Julian, bitte. Dad, möchtest du einen Cognac?«
»Lieber nicht, Liebling.«
»Gehst du heute abend in den Klub?«
»Nein, heute abend nicht.«
»Gestern abend bist du auch nicht hingegangen.«
Eldon Kyle betupfte sich die Lippen mit einer Serviette und sagte: »Ich bleibe lieber bei dir, wenn es dir recht ist. Im Klub wird sowieso nur geredet.«
»Worüber?«
»Ach, der übliche Unsinn. Politik, Billard, Poker.«
»Und das ist alles?«
»Worüber soll sich ein Haufen alter Männer sonst unterhalten?« fragte Eldon Kyle.
Adrienne antwortete erst, als Julian das Zimmer verlassen hatte. »Ich wüßte ein Thema. Mr. Tony Jerrick.«
Bill Marceau, Monticellos Polizeichef, saß ebenfalls beim Abendessen. Aber seiner Frau Martha war es nicht recht, daß er seine Mahlzeit so geistesabwesend in sich hineinschaufelte.
»Wie schmeckt dir der Lammbraten?« fragte sie.
»Was? Ach so, sehr gut, sehr gut«, erwiderte er und starrte aufs Tischtuch.
»Das freut mich. Aber zufällig ist es Kalbsbraten.«
»Tatsächlich? Ich habe das noch nie auseinanderhalten können. Aber es schmeckt gut, egal, was es ist.« Er blickte auf und sah seine Frau an, rang sich ein gutmütiges Grinsen ab.
»Bill, machst du dir Sorgen?«
»Einen sorglosen Polizisten gibt’s nicht.«
»Berufliche Sorgen? Oder machst du dir Gedanken wegen Mike?«
»Ich brauche mir nicht Mikes Kopf zu zerbrechen«, meinte Bill. »Damit wird er schon allein fertig. Daß er den Prozeß Davis verloren hat, wird ihn nicht umwerfen; er landet schon wieder mit beiden Füßen auf dem Boden.«
»Aber es war ein Schlag für ihn. Sogar du hast doch geglaubt, der Mann sei unschuldig, oder?«
»Ja – eine Zeitlang. Dann habe ich gemerkt, wie Mike ins Schwimmen geriet. Davis hat uns etwas vorgemacht, mir und seinem Anwalt auch. Das muß Mike am härtesten getroffen haben.«
»Weißt du, was er jetzt braucht?« sagte Martha resolut. »Einen handfesten neuen Fall – mit einem unschuldigen Angeklagten.«
Bill lachte glucksend. »Sag ihm das mal.«
Nach Beendigung der Mahlzeit verzog sich Bill mit seiner Kaffeetasse ins Wohnzimmer. Er setzte sich in den Lehnstuhl vor dem Fernsehapparat und stellte Tasse und Untertasse auf die Armlehne. Aber er schaltete den Apparat nicht ein, sondern starrte die blinde Mattscheibe an.
»Irgend etwas nagt doch an dir«, sagte Martha.
»Ja«, gab er zu. »Da ist etwas.«
»Hängt es mit dem Fall Haven zusammen?«
»Ja. Ich erwarte einen Anruf – kann jede Minute kommen.«
»Ich dachte, ihr tappt
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