Die Siechenmagd
den Mägden abwechselnd in Ordnung gehalten werden. Der Hausrat des Kranken ist jederzeit sauber und instand zu halten. Botengänge sind nach Absprache mit dem Dienstherrn zu erledigen. Wird die Herrschaft bettlägerig und bedarf besonderer Pflege, so ist es erste Pflicht der Leprösenmagd, diesem verantwortungsvoll nachzukommen. Wenn der Kranke baden will, trägt sie das Wasser in die Badestube und macht diese anschließend sauber. Das Hausgesinde hat dem Schellenknecht bei der Gartenarbeit zu helfen, wenn dieser es verlangt. Außer dem üblichen Lohn, den Ihr ihr Dienstherr zahlt, wird Sie vom Hospital bei der Verteilung von Lebensmitteln, Holz und Bier mitberücksichtigt.
Ich erwarte von einer Magd, die bei uns auf dem Gutleuthof lebt, dass sie sich den Hospitalsregeln bedingungslos unterordnet. Wenn Sie fleißig und fromm, gehorsam und sittsam ist, wird Sie sich schon bald hier einfügen und davon profitieren, besser als alle Dienstboten in der Stadt zu verdienen und für Ihre treue Fürsorge, einmal aus dem Testament ihres Dienstherrn bedacht zu werden. – Etwas Besseres kann doch einer Schundmummeistochter gar nicht widerfahren? Über Ihre üble Herkunft und Ihr ungezogenes Gebaren vor einiger Zeit will ich hinwegsehen und Sie hiermit als neue Siechenmagd in Gottes Gemeinschaft der Gezeichneten begrüßen. Ich hoffe, Sie wird sich bewähren!“, beendet die Priorin Schwester Susanna ihre ausführliche Einweisung und blickt dabei Mäu mit ihren kleinen, kalten Vogelaugen skeptisch an.
Ulrich Neuhaus, der ebenfalls anwesend ist, räuspert sich und richtet nun das Wort an die Priorin, dabei höflich vor ihr den Kopf neigend:
„Ich danke Euch, Schwester Priorin, für diese einführenden Worte und dass Ihr zugestimmt habt, Maria als meine Magd auf dem Siechenhof aufzunehmen. Ich versichere Euch, dass sie eine brave Maid ist, für deren einwandfreies Betragen ich mich persönlich verbürge.“
„Mit Gott im Herzen wird sich alles finden, Bruder Ulrich. Frömmigkeit, Enthaltsamkeit, Armut und Gehorsam sind die Grundpfeiler unserer Gemeinschaft, nach denen Ihr selber allzeit zu leben habt. Wenn Ihr dies stets beherzigt und Eurer Magd ein gutes Vorbild seid, dann kann sicher nichts fehlschlagen“, entgegnet die Priorin und lächelt dabei säuerlich. Sie kennt ihre Schäfchen, auch die schwarzen unter ihnen. In den fast zwanzig Jahren, die sie nun auf dem Siechenhof lebt, hat sie in sämtliche Abgründe der menschlichen Seele, auch ihre eigenen, blicken müssen und zwar mehr als ihr lieb war.
Der reiche Neuhaus wäre nicht der Erste, den es nach seiner jungen Magd gelüstet.
„Altes Biest“, denkt Neuhaus und versucht ein unbeteiligtes Gesicht zu machen.
„So sei es“, antwortet er stattdessen scheinheilig.
„Gott zum Gruße, Bruder. Gottfried, zeige jetzt der Magd den Hof“, ordnet Schwester Susanna an und zieht sich hinkend zurück.
Mäu, die immer noch unter der Wirkung des Opiats steht, erhebt sich mechanisch und folgt dem Schellenknecht nach draußen. Es ist ein strahlender Herbstmorgen, ohne das kleinste Wölkchen am blauen Himmel. Die Vögel zwitschern in den Bäumen des Obstgartens, den die beiden nun durchschreiten. Die Früchte der Birnen-, Apfel-, Pflaumen-, Mirabellen- und Kirschbäume sind alle schon abgeerntet, vereinzelt liegt noch eine überreife Pflaume oder ein faulender Apfel auf dem Boden, um die sich die Wespen tummeln. In der Luft hängt ein süßlicher Obstgeruch. Die Anlage ist größer, als Mäu früher vermutet hat. An den Obstgarten schließt sich ein Nutzgarten mit Beeren- und Haselnusssträuchern, lange Reihen mit Kohl, Wirsing und Bohnen sowie ein Kräutergarten an. Herbstastern blühen in leuchtenden Farben neben Pfefferminze, Lavendelbüschen und Thymian, die einen angenehm würzigen Duft verbreiten. Gottfried geleitet Mäu weiter zum Wirtschaftshof am südlichen Rande des Gutleuthofs, zu dem eine Scheune, Ställe mit Kühen, Schweinen und Ziegen sowie ein Backhaus und ein Brauhaus gehören, Hühner und Gänse sind in einem kleinen, umzäunten Gehege untergebracht. Die Gänse gackern ihnen aufgebracht entgegen.
„Seid nur ruhig, am Martinstag geht’s euch an die Gurgel“, raunzt Gottfried den wohlgenährten Tieren zu. Sie gehen weiter an der Mauer entlang und kommen zum Waschhaus, vor dem ein großer Ziehbrunnen steht. An der rechten Mauerecke liegt der Gutleutfriedhof und eine kleine, aber solid gebaute Steinkapelle, die überdies noch mit einem Glockenstuhl
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