Die Siechenmagd
Hause gehen kommt überhaupt nicht in Frage! Es ist so sicher, wie das Amen in der Kirche, dass ihr der Alte dann den schlimmsten Zores machen und sie jetzt erst recht mit dem Frettchen verkuppeln wird. Zum Gutleuthof zu gehen, widerstrebt ihr ganz und gar! Neuhaus, der alte Lustmolch, will ihr doch gar nicht helfen, der hat was ganz anderes im Sinn. Und das, was sie sich die ganze Zeit so von Herzen gewünscht hat, mit dem Fuchs und den anderen in die Welt zu ziehen, hat sich ja nun endgültig zerschlagen. Treuloses Pack! Mit einem Mal ist ihr ganzes Leid und Missgeschick wieder allgegenwärtig und sie ergibt sich lauthals weinend einer tiefen Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung. Gedankenbilder und Erinnerungsfetzen kreisen ihr durch den Sinn. Mäu denkt an das, was ihr Martha über die Liebe erzählt hat und wie knapp bemessen die glücklichen Momente sind. Wie Recht sie hat! Sie wird verdammt nochmal nicht den Fehler machen, diesem treulosen Drecksack nachzuhängen! Warum nicht einfach hier im Frauenhaus bleiben und Hübscherin werden? Da hat sie wenigstens Martha um sich rum, und die ist schließlich die Einzige, die ihr wirklich gut will. Ihr Blick fällt auf das Wandbord, auf dem das kleine Glasfläschen mit dem Theriak steht. Warum nicht noch eine Runde schlafen? Und später dann wird sie mit der Muhme über alles reden und ihr den neuen Vorschlag unterbreiten. Entschlossen entkorkt sie das Glasfläschchen und schüttet sich den ganzen Inhalt in den Rachen.
Sie spürt eine intensive, ölige Bitternis im Hals, die nach und nach alles Schwere in sich aufzusaugen scheint. Immer mehr durchsetzt sich die Schwärze in Mäu mit schimmerndem Licht, so warm und unsagbar wohl wird ihr im Innern, alles ist erfüllt von friedvoller Selbstgenügsamkeit. Dankbar öffnet sie alle Schotten ihrer geplagten Seele, um vollkommen in dieser Glückseligkeit zu vergehen, die weder Schmerz noch Leid kennt – und weg ist sie.
9. Schattenwelt
„Es ist die Pflicht der Aussätzigen auf unserem Hof der Guten Leute, dass alle gemeinsam im Stehen nach dem Essen fünf Paternoster und fünf Ave-Maria sprechen. Das Gleiche gilt auch für die Leprösenmägde, die unter uns leben und ihre Mahlzeiten an dem Gesindetisch im großen Speisesaal einzunehmen haben.
Wer dieses vernachlässigt, oder zu spät zu den Mahlzeiten erscheint, dem wird zur folgenden Mahlzeit vom Haus kein Essen gegeben. Die Mägde müssen eine halbe Stunde vor jeder Mahlzeit erscheinen, um den Tisch zu decken und die Speisen hereinzutragen. Nach Beendigung der Mahlzeiten haben die Aufwärterinnen die Tische abzuräumen und zu säubern sowie das Geschirr zu reinigen. Genauso wie die Schwestern, haben sie auf dem Hofe blaue oder graue Spitalkleidung zu tragen, die immer frisch und sauber zu sein hat. Wird einer Magd in ihrer Arbeit oder an ihrer Erscheinung Nachlässigkeit nachgewiesen, so muss sie mit Ermahnung des Siechenmeisters und der Priorin rechnen, die im Wiederholungsfall mit Geldstrafe geahndet wird. Die Speisezeiten sind werktags, wie sonn- und feiertags um sechs Uhr morgens, um zwölf Uhr mittags und um fünf Uhr abends. Streitigkeiten und Beschimpfungen unter dem Gesinde sind verboten und werden mit Lohnabzug bestraft. Wer sich auf unzüchtige Handlungen mit einem Kranken einlässt, wird sofort des Hofes verwiesen und hat fortan keinerlei Ansprüche mehr auf Geld und Erbe seines Dienstherrn. Alle gehen gleichzeitig schlafen, wenn der Siechenmeister geht. Wer dem täglichen Gottesdienst in der Kapelle ohne schwerwiegenden Grund fernbleibt, dem werden für eine Woche sämtliche Vergünstigungen und Zuwendungen gestrichen. Zweimal in der Woche wird gebadet. Die Örtlichkeiten des Hofes und die Gesindebehausungen werden Ihr später noch vom Schellenknecht gezeigt. Nun zu Ihrer Arbeit auf dem Hofe:
Alle Werktage geht Sie morgens in die Stadt auf den Markt und erledigt die Einkäufe für Ihre Herrschaft. Außerhalb des Spitals mag Sie tragen, was Ihr Herr gestattet. Täglich macht Sie das Bett und schleppt das zum Waschen benötigte Wasser herbei. Zweimal wöchentlich sind die Urinschüsseln des Kranken zu reinigen. Die Räume der Kranken müssen Montag bis Freitag zweimal täglich, am Sonnabend dreimal täglich gefegt werden. Am Freitag müssen die Dielen gründlich geschrubbt und gewachst werden. Die kleine Wäsche ist, wann immer sie anfällt, ohne Murren sofort zu erledigen, die große Wäsche einmal die Woche am Montag. Das Waschhaus muss von
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