Die Siechenmagd
meidet. Glücklicherweise kaschieren die weite Siechentracht und der übergroße Hut vollkommen Gestalt und Gesichtszüge eines jeden Trägers. Auch Mäu erkennt die anderen nicht, überdies scheinen alle genügend mit sich selbst beschäftigt zu sein, und es halten sich nur diejenigen beieinander, die auch auf dem Gutleuthof verbandelt sind. Als sich die Gruppe laut klappernd, wie es vorgeschrieben ist, dem Galgenviertel nähert, ist Mäu erleichtert. Hier wird sie sich von der weißen Schar endlich absetzen können. Wie geplant, lässt sie sich immer mehr zurückfallen und verschwindet schließlich in einer Seitengasse, die zur Herberge „Zur schwarzen Katz“ führt.
Als Mäu abgehetzt und keuchend die Schankstube betritt, starren sie alle Anwesenden mit weit aufgerissenen, erschrockenen Augen an, ganz so, als hätten sie eine Aussätzige vor sich. Daran hatte sie ja in ihrer ganzen Aufgeregtheit gar nicht gedacht!
„Raus mit dir! Aussätzige werden hier nicht bedient und auch nicht beherbergt!“, raunzt ihr auch sogleich der Wirt entgegen.
Daraufhin reißt sich Mäu den großen Siechenhut vom Kopf und stammelt kurzatmig:
„Keine Angst, Berthold, ich bin’s, die Mäu. – Ich bin nicht aussätzig, das ist nur Verkleidung!“, wendet sie sich verlegen an die anderen Schankgäste. Nach und nach entledigt sie sich der übrigen Leprösentracht und tritt zu Berthold an die Theke.
„Na, da haste dir aber eine schöne Tarnung ausgesucht! Da kriegt man ja einen Schreck! Wär ja nicht das erste Mal, dass sich am Karfreitag einer von den Feldsiechen hierher verirrt“, grummelt Berthold und fragt Mäu, ob sie sich stärken will.
„Ich glaub, etwas Heißes könnt ich jetzt schon vertragen. Aber vor allen Dingen brauch ich eure Hilfe, ich bin nämlich schwer in der Bredouille“, erwidert Mäu mit gedämpfter Stimme. Der Wirt weist ihr einen kleinen Tisch neben der Theke zu. Die übrigen Schankgäste haben sich inzwischen wieder beruhigt und löffeln mit verschlafenen Gesichtern weiter ihren Haferbrei.
„Ich geh schnell und hol Felicitas, die ist hinten in der Herberge noch am Putzen, und dann erzählst du uns mal, was los ist.“ Berthold stellt ihr einen Becher mit heißem Eierpunsch auf den Tisch und entfernt sich.
Mäu führt mit zitternden Fingern das Trinkgefäß an die Lippen und schlürft in kleinen Schlucken das wohltuende Getränk. Sie ist froh, dass die anderen Gäste sie nicht mehr weiter beachten und ihr niemand lästige Fragen stellt, denn in ihrem Innern herrscht momentan reinstes Chaos: Sie hat einen Menschen umgebracht! Ist eine Mörderin! Bestimmt wird schon nach ihr gesucht, und wenn man sie erwischt, wird man sie am Gickelkreuz im Main ersäufen wie eine Katze! Panik flackert wieder in ihr auf und sie muss sich zusammennehmen, nicht lauthals loszuschluchzen.
Felicitas, die nun mit Berthold zu Mäu an den Tisch eilt, bemerkt sofort, in welch arger Bedrängnis das Mädchen ist. Sie drückt Mäu an sich und versucht sie zu besänftigen. Mit vor Aufregung bebender Stimme, bemüht leise zu sprechen, erzählt Mäu von den unheilvollen Vorkommnissen der letzten Nacht. Während sie Berthold und Felicitas schildert, wie sie ihren betrunkenen, zudringlichen Dienstherrn mit dem Zinnkrug im Badezuber erschlagen hat, durchlebt sie noch einmal die unbändige Wut und Abscheu, die sich beim Zuschlagen immer mehr entladen hatten. Am Ende ihres Berichts wird sie von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt und zittert am ganzen Leib.
„Jetzt krieg dich mal wieder ein, Mädchen. Der Saukerl hat’s doch nicht anders verdient! Seh jetzt lieber mal zu, dass du deinen eigenen Hals retten tust, und das wird bestimmt nicht leicht. Fest steht, du musst so schnell wie möglich von hier fort. Sie werden bestimmt bald nach dir suchen. Aber erst mal ruhig Blut, wir müssen jetzt einen kühlen Kopf bewahren und uns überlegen, was zu tun ist. Wenn man hektisch wird, macht man nur Fehler.“
Die ruhig, aber entschieden geäußerten Worte des Wirts bewirken bei Mäu tatsächlich eine Besinnung, und sie wischt sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
„Ich will ja fort. Aber ich weiß nicht genau, wohin. Vielleicht habt ihr ja einen Rat für mich“, entgegnet sie mit kehliger Stimme. „Ich kenn ja da draußen auch niemand, außer dem Fuchs und seinen Leuten, aber ich weiß überhaupt nicht, wo die gerade stecken“, setzt sie niedergeschlagen hinzu. „Wisst ihr vielleicht, was aus denen geworden ist?“
„Keine Ahnung!
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