Die Siedler von Catan.
kaum wahr. Sie war hingerissen vom Klang dieser Stimme und von dem Bild, das die beiden ungleichen Brüder boten. Noch nie hatte sie Candamirs Ausdruck so unmaskiert gesehen. Sie konnte erkennen, wie erschöpft, verletzt und ratlos er war, doch es war etwas anderes, das sie bannte, etwas Tiefgründiges. Sie konnte kein passendes Wort finden für das, was er für seinen Bruder empfand und in diesem Moment, da er sich unbeobachtet glaubte, preisgab. Jedenfalls war es etwas, das sie Candamir niemals zugetraut hätte. Und was immer es war, sie wollte es für sich.
Dieser Gedanke erschreckte sie so sehr, dass sie die Augen zukniff wie ein kleines Mädchen, das glaubt, es könne dem drohenden Schatten entgehen, wenn es nur die Augen fest genug davor verschließe. Reglos lag sie da und wagte plötzlich kaum zu atmen.
»Trunken bist du, zu gierig trankst du, verstört ist dein Verstand.
Manches verlorst du, da du meiner Gunst und Gefolgschaft ferne bliebst.«
So sprach Odin zu dem abtrünnigen Geirröd im Lied, doch das Gleiche hätte Siglinds neu gefundener Gott ihr vorhalten können. Und sie gedachte nicht, ihn zu erzürnen, indem sie von dem gewählten Pfad abwich. Aber ihr Herz schlug auf einmal bis zum Hals, sie spürte, wie die Härchen auf Armen und Beinen sich aufrichteten, und beim Klang von Candamirs Stimme überkam sie ein Sehnen, das ihr fremd und unheimlich war.
Sie erlebte diese eigentümlichen Empfindungen zum ersten Mal in ihrem Leben, aber sie erkannte sehr wohl, was sie zu bedeuten hatten. Das geht nicht, dachte sie erschrocken, das ist völlig ausgeschlossen. Sie wollte keinen Mann mehr. Denn ganz gleich, was sie eben in Candamirs Augen erkannt zu haben glaubte, hatte sie doch schon oft genug gesehen, dass er genauso roh und unbarmherzig sein konnte wie jeder andere. Männer, hatte ihre Mutter sie gelehrt, waren alle gleich, hatten nichts im Sinn als Kampf und Met und ihren Samen möglichst vielen Frauen einzupflanzen und waren darüber hinaus nicht zufrieden, ehe sie sich selbst und allen um sich herum das Leben bitter gemacht hatten.
Siglinds Erfahrungen deckten sich mit dieser Einschätzung. Und sie hatte genug davon. Darum hatte sie den Gott des Sachsen zum Bräutigam gewählt. Wenn sie ihm jetzt den Rücken kehrte, war sie nicht besser als Gunda …
»Sachse, komm her«, riss Candamir sie aus ihren Gedanken.
»Ich glaube, er stirbt.«
Ruckartig setzte Siglind sich auf.
Austin hatte draußen vor der Hütte auf der Erde gekniet, mit seinem Gott gefeilscht und den ersten Vögeln des neuen Tages gelauscht. Doch jetzt kam er herbeigeeilt, beugte sich über den kranken Jungen und legte die Hand auf dessen Brust.
Dann schüttelte er den Kopf, und als er aufschaute, sah Siglind zu ihrer Verwunderung, dass er lächelte. »Nein, Herr, ich denke nicht. Er schläft. Zum ersten Mal seit drei Tagen schläft er ruhig. Ich glaube gar, das Fieber geht ein wenig zurück. Hier, fühl selbst. Das Herz schlägt ruhiger als noch gestern Abend.«
Hastig legte auch Candamir die flache Hand auf Hacons Brust, als fürchte er, das Zeichen der Hoffnung könne verschwinden, wenn er es nicht schnell genug ertastete. Doch Austin hatte Recht, stellte er fest. Hacons Herz schlug gleichmäßig und kräftig, auch wenn er sich nicht mehr rührte und so ruhig atmete, dass man es kaum wahrnehmen konnte.
Es dauerte noch zwei Tage, bis sie wirklich aufatmeten. Mehrmals kamen Fieber und Schüttelfrost zurück, und immer noch konnten sie Hacon nicht ruhig halten, sodass die Wundheilung nur langsam vonstatten ging. Der Junge wehrte sich, tobte manchmal regelrecht, wenn Austin die Salbe auftrug. Das verstand Candamir, nachdem er zum ersten Mal selbst in den zweifelhaften Genuss gekommen war. Das stinkende Zeug brannte wie Feuer. Aber es half. Zuerst ihm und schließlich auch seinem Bruder. Die grausamen Striemen heilten ab, ohne sich wirklich schlimm zu entzünden.
Als das Fieber einen ganzen Tag lang nicht wiedergekommen war und Hacon zum ersten Mal eine Schale Suppe gegessen hatte, verabschiedete sich Siglind.
Candamir begleitete sie hinaus. Es war spät geworden, dämmerte bereits, und im Gras zirpten die Grillen.
»Welch ein herrlicher Abend«, bemerkte sie und sog die süßen Sommerdüfte tief ein.
Candamir beobachtete sie mit der geheimen Verzückung, die ihm inzwischen so vertraut war. Siglind hatte den Kopf in den Nacken gelegt, die Arme leicht ausgebreitet und atmete einfach nur. Mit ihren bloßen Füßen im Gras, der
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