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Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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sich Henri ein. »Sie wohnte eine Zeit lang bei uns hier in Frankfurt als Au-pair-Mädchen. Nach dem Tod meiner Mutter, als ich zu meinem Vater gezogen war. Mein Vater ist ziemlich beschäftigt, wissen Sie, reist viel, hält Vorträge...«
    »Sie hat bei euch gewohnt?«, fragte Myriam. Ihr Blick wanderte durch den Raum, um die Angst in den Augen des Jungen nicht länger sehen zu müssen, und blieb an einem Bild über dem Bett hängen, auf dem ein kitschiger Clown zu sehen war. Dasselbe Bild hatte über dem Bett ihrer Mutter gehangen, als sie im Sterben lag. Damals wie heute hätte sie es am liebsten von der Wand gerissen.
    »Ja.Wir haben eine kleine Einliegerwohnung. Mein Vater vermietet sie ab und zu … an seine Studenten.«
    »Ich dachte, sie sei Tänzerin gewesen?«, fragte Ron.
    »Ja, das schon, aber sie konnte kein Engagement finden. Sie hat nie jemandem etwas getan. Warum? Warum ist das passiert? Sie wollte doch nur eines. Tanzen! Sie lebte dafür und …« Myriam hörte die unterdrückten Tränen in seiner Stimme, und dann brach er ab. Sie wandte den Blick von dem Bild. Ron, Henri und David starrten alle drei zur Zimmertür. Sie drehte sich um.
     
    Der Mann war ausgesprochen dünn, was das jugendliche Aussehen verstärkte. Bei einer Größe von circa einem Meter neunzig wog er kaum mehr als sechzig Kilo. Er war nicht mehr als Haut und Knochen. Ein Gerippe, mit dünner Haut überzogen.
    Die dichten braunen Haare waren sorgfältig geschnitten. Lediglich eine Strähne fiel ins Gesicht. Die Augen waren von so heller Farbe, dass sie fast weiß erschienen, was ihnen einen Ausdruck von Starre verlieh. Mit unterdrückter Nervosität schaute er von David zu Ron, bis sein Blick auf Myriam fiel, ja sich geradezu an ihr festbiss.
    »Das ist Justin«, erklärte David. »Justin Brandenburg. Er wohnt jetzt bei uns in der Einliegerwohnung.«
    »Ich habe dir deine Sachen gebracht.« Justin hob die Reisetasche hoch, trat an den Schrank und begann die Kleider, Handtücher und das Waschzeug ordentlich einzuräumen. Dann wandte er sich um und stellte eine Laptoptasche neben das Bett.
    »Kannten Sie Helena Baarova?«, unterbrach Ron seine Aktivität.
    Justin schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Ich habe sie lediglich einige Male bei Milan, bei Professor Hus getroffen.«
    »Sie sind Amerikaner?«
    »Ja.«
    »Arbeitete sie als Prostituierte?«, hörte Myriam Ron fragen. Verdammt, wie immer konnte er sich nicht beherrschen. Hatte er den Jungen vergessen?
    »Herrgott noch mal, Ron!«, rief sie, doch er ignorierte sie.
    »Prostituierte?« Justin zuckte erschrocken zusammen.
    »Prostitute, moll, bitch?«
    »Ron«, warnte nun auch Henri.
    Bevor Justin antworten konnte, rief David aufgeregt: »Helena war nicht so eine … sie war keine … keine Prostituierte.«
    Sein Atem beschleunigte sich. Alle starrten ihn voll Sorge an, er könnte den nächsten Anfall bekommen.
    »Sie war Studentin«, erklärte Justin schnell. »Sie hat bei Professor Hus studiert. Sie war eine Kommilitonin. Einfach eine Kommilitonin.«
    »Ich dachte, sie suchte nach einem Engagement als Tänzerin?«, fragte Ron.
    »Ja«, erklärte Justin. »Aber das war nicht so einfach.«
    »Wenn Sie mit ihr studiert haben, dann müssen Sie sie doch besser gekannt haben.«
    »Sie … sie ging nur selten zu den Vorlesungen. Ehrlich. Ich habe sie nur zwei bis drei Mal getroffen.«
    »Gibt es andere Studenten, die sie besser kannten?« Justin schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Sie sollten besser mit Professor Hus sprechen, wenn er zurück ist.«
    »Und wo ist der Professor im Moment?«
    Justin zögerte, während er gleichzeitig David einen Blick zuwarf. Er schien zu warten, dass dieser antwortete, doch der Junge verzog keine Miene.
    »In Prag«, erwiderte der Amerikaner schließlich. »Er hält dort einen Vortrag.«
    »Wann kommt er zurück?«
    »In vier Tagen.«
    Er erinnerte Myriam an einen dieser Extremsportler. In seinem Blick lag etwas Gehetztes, als ob er sich selbst ständig überforderte, aus Angst, etwas falsch zu machen, die Erwartungen nicht zu erfüllen, kurz: zu versagen.
    »Worüber hält er einen Vortrag?«, wollte Henri wissen.
    »Kafka. Franz Kafka.«
    »Kafka?«, fragte Ron. »Ist das nicht dieser wahnsinnige Schriftsteller?«
    »Nicht wahnsinniger«, antwortete Justin, »als Sie oder ich. Als wir alle.«

6
    Myriam musste unentwegt an die dunklen Striemen auf Helena Baarovas geschundenem Körper denken und an Henris Ultimatum. Unter diesen Bedingungen schien

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