Die Signatur des Mörders - Roman
Medikamenten?«
»Sie sind im Bad und …«
»Was?«
»Bringst du meinen Laptop mit? Hier ist es nämlich voll ätzend, verstehst du. Das ist wie Guantánamo für Lungenkranke.«
»Okay. Aber daran sind ausnahmsweise nicht wir Amerikaner schuld.«
David lachte kurz auf. »Nein.«
»Sonst noch etwas?«
»Bitte ruf nicht meinen Vater an. Er soll sich keine Sorgen machen.«
»Okay.«
»Bis gleich.«
»Ja, bis gleich.«
Justin beendete das Gespräch. Obwohl die Nachrichten ihm keinen Anlass gaben zu lächeln, tat er es trotzdem. Es war der Irrsinn der Realität, dass er das erste Mal einen wirklichen Kontakt zu David fand, als er kurz davor stand, dessen Vater zu verlassen. Als könne in seinem Leben nichts zum richtigen Zeitpunkt stattfinden. Angefangen hatte es damit, dass sein Vater an seinem dreizehnten Geburtstag starb. Wie immer war sein Timing nicht richtig gewesen. Aber Timing war, wie man so sagte, alles. Das Timing für Glück und Unglück.
Dann dachte er an Milan.Wie würde er auf Helenas Tod reagieren?
5
Myriam blieb vor dem Zimmer mit der Nummer 412 stehen, unschlüssig, ob sie anklopfen sollte oder nicht. Sie hätten Hannah Roosen, die Polizeipsychologin, benachrichtigen müssen.
»Was ist mit Hannah?«, fragte sie leise. »Wir hätten sie mitnehmen sollen.«
»Urlaub«, erwiderte Ron. »Sie ist gestern auf irgendeine Insel geflogen.«
»Ausgerechnet jetzt. Gibt es niemand anderen?«
»Möchtest du Johnson hier haben?«
Johnson? Den Gerichtsgutachter, der für das Psychologenteam arbeitete und mit dem sie sich regelmäßig in die Haare geriet, wenn es um ein Gutachten ging?
»Nein.«
»Na also.«
Das helle Licht der Halogenlampen tat ihren Augen weh, außerdem spürte sie eine leichte Übelkeit, die, wie sie wusste, von dem typischen Krankenhausgeruch herrührte. Diese ätzende Mischung aus Desinfektionsmitteln, Krankheit und dem durchdringenden Geruch von Frühlingsblumen, die überall auf den Tischen vor den Zimmern standen, als handele es sich um Friedhofsbepflanzung.
Myriam hasste Krankenhäuser. Sie mied sie wie die Pest. Ihre Mutter war hier gestorben. Knochenkrebs. Bösartig. Zerstörerisch. Später lag ihr Vater auf diesem Stockwerk. Wie oft hatte sie Arbeit vorgetäuscht, um ihn nicht besuchen zu müssen. O ja, das schlechte Gewissen nagte immer noch an ihr. Sie hatte Sarah, ihre Schwester, damals ziemlich hängenlassen. Ein neuer Beweis für das emotionale Vakuum in ihrem Innern. Ihre Gefühle mussten irgendwo in ihrem Gehirn verpackt liegen. Nicht für Notzeiten, sondern für den Sperrmüll.
Myriam trat als Erste ein. Ihre Bedenken gegen ein Gespräch mit dem Jungen waren rasch durch den behandelnden Arzt zerstreut worden. Der Junge habe sich erstaunlich schnell erholt, er sei offenbar an diese Anfälle gewöhnt und wisse genau, was zu tun sei.
Im Krankenzimmer befanden sich zwei Betten. Das linke war leer, rechts lag ein Junge, den Blick unter einer großen Brille starr zur Decke gerichtet. Man hatte ihm eines dieser grotesken Krankenhausnachthemden verpasst.
Dunkle kurze Haare. Ein schmales, sensibles Gesicht. Blass, was nicht verwunderlich war, wenn sie bedachte, was er durchgemacht hatte.
Was hatte Ron gesagt? Fünfzehn? Oder sechzehn?
Von seinem rechten Arm führte ein transparenter Schlauch zu einer Infusionsflasche, aus der Tropfen für Tropfen eine durchsichtige Flüssigkeit rann. Die Spuren des Asthmaanfalls waren allzu deutlich an den blassen Lippen abzulesen. Zudem schien ihn eine lähmende Starre überfallen zu haben, die vermutlich vom Schock herrührte. Myriam holte tief Luft. Er strahlte eine Zerbrechlichkeit aus, die ihr zu Herzen ging. Niemand, schon gar nicht ein Junge seines Alters, sollte einen Tag so beginnen, dachte sie.
Henri, hinter ihr in der Tür stehend, räusperte sich.
David hob augenblicklich den Kopf. Offenbar hatte er sie erwartet, denn von einem Moment zum anderen verschwand die Blässe in seinem Gesicht. Er schien erleichtert und froh, sich alles von der Seele reden zu können. Er wollte die schrecklichen Bilder in seinem Kopf loswerden.
»Hallo«, Henri trat an das Bett und reichte ihm die Hand. »Hauptkommissar Liebler.« Er deutete auf Ron. »Das ist mein Kollege Fischer und Frau Singer, die ermittelnde Staatsanwältin.«
Der Junge hob die Hand, doch fehlte ihm die Kraft, sie länger oben zu halten, daher nickte Myriam ihm lediglich zu, während Ron sich an ihr vorbeischob: »Erinnerst du dich noch an mich? Wenn nicht, wundert
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