Die Signatur des Mörders - Roman
die Ufergasse 8 in Prag etwas?«
Olivier bewegte sich zur Seite, wobei er Rotwein über den Ärmel seines Jacketts schüttete, ohne dies zu bemerken.
»Max Brod hat dort eine Zeit lang gewohnt«, fuhr Filip fort. »Kafka erwähnt das in den Briefen an Milena. Sie erinnern sich sicher.«
»Ja, ich glaube …«
Nein, er hatte offensichtlich keinen blassen Schimmer.
»Nun, in diesem Haus wurde etwas gefunden, das Professor Hus interessieren könnte.«
Die Gäste strömten bereits in den Vortragssaal. Filip sah auf die Uhr. Der Vortrag begann in wenigen Minuten.
»Ein Manuskript … ich würde dem Professor gern eine Kopie zeigen. Hier meine Visitenkarte! Sagen Sie ihm, es handelt sich um den Beweis für seine Theorien über Kafka.«
Olivier nickte verwirrt. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Nein, dachte Filip, es waren mit Sicherheit nicht seine wissenschaftlichen Qualifikationen, weshalb Hus ihn als Assistent gewählt hatte, sondern die schmalen Hüften, das blonde Haar, das bartlose Gesicht, das genau den Ausdruck von Unschuld trug, den Hus als Spiegel für sein Ego benötigte.
»Sagen Sie Professor Hus«, wiederholte er eindringlich, »ich möchte ihn nach dem Vortrag sprechen. Ich warte hier im Foyer.«
Der junge Mann nickte. Filip sah ihm nach, wie er hinüber zu Hus ging, diesem etwas zuflüsterte und ihm Filips Visitenkarte reichte.
Hus’ Blick hob sich. Er sah kurz herüber. Filip nickte ihm zu, doch der Professor erwiderte den Gruß nicht. Stattdessen drehte er ihm den Rücken zu und verschwand im Saal.
Hus inszenierte seinen Auftritt. Am Rednerpult stehend, eine Hand lässig in der Tasche der schwarzen Anzughose, zeigte sein Verhalten die Selbstsicherheit des Mannes, der es gewohnt ist, im Rampenlicht zu stehen. Zweifellos genoss er das Gefühl, dass die Augen Hunderter Zuhörer auf ihm ruhten. Ebenso selbstbewusst begann er mit seiner arroganten, tiefen Stimme den Vortrag. Kein Zweifel quälte ihn, das Publikum könne sich langweilen. Nein, er war sich des uneingeschränkten Interesses seiner Zuhörer sicher.
Mit Recht. Auch Filip konnte sich der Darbietung nicht entziehen, die zudem in einem perfekten, klassischen Tschechisch stattfand.
Obwohl Kafka nicht unbedingt zu seinen bevorzugten Autoren gehörte, er bevorzugte die Lyrik Werfels, schätzte er dennoch Kafkas intensive Sprache. Eine Sprache, in der der Schriftsteller so rätselhafte Geschichten zu erzählen vermochte, dass sie bis in alle Ewigkeit nicht entschlüsselt werden konnten. Hus hatte also freie Bahn für seine waghalsige These, alles, was Freud über die Psychologie gesagt hatte, sei von Franz Kafka wesentlich besser, lebendiger, ja um ein Vielfaches eindringlicher geschildert worden.
»Kafka selbst«, erklärte Hus, »war ein gestörter Mensch, der von seinem unterdrückten Selbstwertgefühl angetrieben, von Gewaltfantasien gequält wurde. Doch genau hierin begründet sich sein Charisma und die Faszination, die er noch immer auf uns als Leser ausübt. Zwar will die Literaturgeschichte dies nicht wahrhaben, es gehört zu einem ihrer strengsten Tabus, doch wahr ist: Kafka führte ein verstecktes, einsames Leben. Das Abgründige der menschlichen Psyche verkörperte dieser Autor wie keine anderer.«
Filip Cerny bildete sich ein, bei diesen Worten ruhe der Blick des Professors auf ihm, als ahne er bereits etwas von dem Text in seiner Tasche: dem Beweis für seine Theorien.
Nach dem Vortrag beobachtete Filip, wie sich die Zuhörer im Foyer um Hus drängten, als hätte er ihnen Hoffnung geschenkt. Schließlich löste sich der Professor aus der Menge und trat ihm entgegen, doch nicht mit erwartungsvoller Miene, stellte Filip enttäuscht fest. Stattdessen zeigte sein Gesicht eine gereizte Miene.
»Sie sind also Cernys Sohn?« Nicht einmal die Hand reichte er Filip. »Sie haben seinen Laden übernommen?«
»Ja.«
»Geht es Ihrem Vater gut? Ein belesener Mann.«
Ein kranker Mann, dachte Filip. »Er lässt Sie grüßen.«
»Ich habe nicht viel Zeit.« Hus winkte der Filmregisseurin zu, die Richtung Ausgang strebte. Dann wandte er sich wieder ungeduldig Filip zu. »Die Nachricht, die Sie meinem Assistenten gegeben haben, klang äußerst mysteriös. Ehrlich gesagt, bekomme ich ständig solche Hinweise. Wäre nicht Ihr Vater, ich wüsste nicht …«
»Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, dass Sie sich Zeit nehmen«, erwiderte Filip mit einem Gefühl der Beschämung, hasste er doch gerade diese Lakaienhaltung an sich. Er
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