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Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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hinausgehen. Jetzt sofort. Die Tür hinter sich schließen. Es wäre so leicht.
    Mit einem Ruck erhob er sich, wobei er die halb gefüllte Flasche umwarf. Der Geruch nach Rotwein vermischte sich mit dem nach Staub in der Luft. Er griff nach dem Schlüsselbund und sah sich nicht mehr um.
    Er könnte als Verkäufer in einer der großen Buchhandlungen arbeiten, sein Studium beenden, als Fremdenführer Touristen durch Prag führen. Plötzlich erschienen ihm seine Möglichkeiten überraschend vielfältig. Dora brauchte nicht länger als Kellnerin zu arbeiten, sie könnten noch ein Kind bekommen.
    Sollte er den Laden verpachten? Er gehörte ihm wie auch das Haus. Das hatte er fast vergessen. Doch wohnten die Leute teilweise seit über vierzig Jahren in diesem Haus, deshalb bezahlten sie nur geringfügig mehr Miete als zu Zeiten des Sozialismus. Er besaß kein Geld, um die Wohnungen zu modernisieren. Nein, vielleicht hatte Dora recht.Verkaufen war das Beste. Dann … Amerika! Kein Blick zurück.
    Vor der Tür atmete er tief durch. Die Sonne blendete ihn. Über dem Hradschin flog ein riesiger Käfer am Himmel. Eine Attraktion für die Touristen. Sie gingen auf Kafkas Spuren durch Prag und versuchten wenigstens einen Hauch der literarischen Wurzeln zu erahnen, die diese Stadt geprägt hatten.
    Filip wollte gerade den Schlüssel umdrehen, als er das Telefon klingeln hörte. Er zuckte zusammen. Den ganzen Tag hatte es nicht geklingelt und ausgerechnet jetzt.
    Der Anrufer gab nicht auf. Es musste wichtig sein. Vielleicht Dora, der es leidtat. Sein Sohn, um zu fragen, wann er nach Hause kam, sein Vater mit der Frage, wie das Geschäft lief.
    Gut, Vater. Alles in Ordnung.
    Wie viel Zeit hatte er als Junge mit ihm hier im Laden verbracht? War er sentimental? Warum ließ er die Vergangenheit, die der Zukunft nur im Weg stand, nicht hinter sich? Aber solange sein Vater lebte, war die Vergangenheit noch greifbar. Erst wenn dieser starb, wäre er frei.
    Die Ladentür fiel hinter ihm ins Schloss. Er rannte auf das Telefon zu und nahm den Hörer ab: »Antiquariat Cerny & Söhne. Alte Drucke, seltene Bücher, Bibliophiles, Exlibris. Was kann ich für Sie tun?«
    »Milan Hus. Ich möchte Ihnen das Manuskript abkaufen, wenn Sie mir den Kontakt zum Anbieter vermitteln.«
    »Zwei Manuskripte«, erklärte Filip nervös. »Ich habe inzwischen ein zweites Manuskript erhalten.«
    Schweigen am anderen Ende. Als Milan Hus endlich antwortete, registrierte Filip Cerny dessen Angst so deutlich, als säße er direkt neben ihm.
    »Wie lautet der Titel?«
    Aufgeregt suchte Filip nach der Datei auf seinem PC. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis er sie gefunden hatte.
    »Ein Hungerkünstler«, las er laut. »Ein Entwurf, IV 1922.«
    Was hatte die Stille am anderen Ende zu bedeuten?
    »Schicken Sie es mir«, vernahm er schließlich nach längerem Schweigen die heisere Stimme des Professors.
    »Hm, lassen Sie mir Zeit, ich werde es prüfen …«
    »Wir haben keine Zeit«, hörte er Milan Hus sagen. »Ich glaube vielmehr, es ist bereits zu spät.«

Frankfurt am Main
    Samstag, 5. Mai

18
    Es nieselte, doch der Regen war so fein, dass Justin ihn kaum wahrnahm. Stattdessen stapfte er von der benachbarten Baustelle zum Hochhaus. Schlamm überflutete den asphaltierten Weg. Seine Schuhe waren bereits völlig verdreckt. Er hielt sich erschöpft am Bauzaun fest, legte den Kopf in den Nacken und schaute nach oben. Dann ging er weiter.
    Es kostete ihn große Mühe, die schwere Haustür offen zu halten, während er die beiden Kartons in den Flur schob.
    Justin hörte den Aufzug im Schacht rattern. Unten angekommen, glitten die Aufzugtüren zur Seite, doch niemand stieg aus. Er hatte sich für die Wohnung im siebten Stock entschieden, weil er das Gefühl genoss, über den Dingen zu stehen. Wenigstens für kurze Zeit. Das war wie mit diesen Eremiten, die sich in die Höhle zurückzogen, um zu sich selbst zu finden.
    Soweit er wusste, hatte sich aus dieser Wohnung ein Siebzehnjähriger gestürzt. Nur deshalb sei sie schwer zu vermieten, wie der Mann von der Wohnungsbaugesellschaft ihm beim Unterschreiben des Mietvertrages erklärt hatte.
    »In diesem Haus wohnen Ausländer, verstehen Sie«, hatte er gesagt, wobei er Justin nicht zu dieser Art Ausländer zählte. »Die stecken voller Aberglauben. Die denken, es bringt Unglück, in eine Wohnung zu ziehen, in der sich einer umgebracht hat.«
    Sein Lachen war Justin unangenehm gewesen.
    »Ich hoffe doch, ihr in Amerika glaubt

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