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Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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hoffte es. Die Beine fest aneinander gepresst, konnte er die Knochen spüren, die aneinander rieben.
    Er könnte überleben, wäre nicht dieses Bedürfnis zu trinken gewesen. In seinem ausgetrockneten Körper brannten das Fieber und der Durst. Wie brüchiges altes Papier war seine Haut. Er versuchte seinen eigenen Speichel zu schlucken. Die trockene Zunge fuhr ständig über den Gaumen, bis sein ganzer Mund wund war. Zunehmend empfand er seine Zähne als spitze Stacheln.
    Er erhob sich aus dem ohnmachtsähnlichen Halbschlaf, um zur Tür zu kriechen. Nicht aus Angst oder der Hoffnung auf Rettung, sondern mit einem tiefen Gefühl der Traurigkeit begann er an dem Gitter zu rütteln wie ein Tier. Wissend, wie sinnlos es war. Draußen blies der Wind gegen die Mauern. In der Luft schwebte ein verhaltenes Jammern, ein beängstigendes Heulen.
    Niemand konnte ihn hören. Erloschen vor Entkräftung sank er zurück. Nichts konnte ihn mehr retten. Was blieb ihm zu wünschen übrig? Nichts. Nicht einmal die Hoffnung auf einen gnädigen Tod.

Frankfurt am Main
    Dienstag, 15. Mai

19
    Ein heiterer Maimorgen mit einem klaren Himmel, milder Luft und einer Sonne, die zu viel versprach; dazu das neurotische Liebesgeflüster der Amseln; Birken, die in voller Blüte standen - und Cordulas Heuschnupfen. In immer kürzer werdenden Abständen hörte Myriam ihre Sekretärin niesen.
    Myriam biss in den mit Marmelade gefüllten Croissant. Die rote Füllung tropfte auf ihre weiße Bluse. Sie versuchte den Fleck mit einem Tempotaschentuch wegzuwischen, machte es jedoch nur noch schlimmer. Egal, dachte sie, ich sitze sowieso nur den ganzen Tag am Schreibtisch. Als ob es da eine Rolle spielt, was ich anhabe oder nicht. Ein Fleck mehr oder weniger interessiert niemanden. Und wenn doch, werfe ich mir einfach die Robe über.
    Myriam fehlte die Zeit, sich über derartige Nichtigkeiten aufzuregen. Sie befand sich mitten in der Endphase der Vorbereitungen für den Bermudaprozess und hatte langsam in einen neuen Rhythmus gefunden, der aus Akten und Fernsehen bestand. Sobald sie am Abend ihre Wohnung betrat, fühlte sie sich zu müde für alles, außer für die Stapel von DVDs, die sie per Internet bestellte und die sie sich bis tief in die Nacht ansah. Abend für Abend lenkte sie sich mit Inseldramen, Krankenhausromanzen und Familiensoaps ab. Kurz, sie war auf dem besten Weg, zum Serienjunkie zu werden. Der Rest der Welt entzog sich ihrem Bewusstsein.Versuche, ihr Leben auf irgendeine Art zu gestalten oder gar zu bereichern, wurden durch ein System aus primitiven Ritualen zunichtegemacht, in die sie ihren Alltag presste. Das Leben der anderen, in billigen Serien.
    Dennoch vermisste sie, was sie im letzten Jahr entdeckt hatte: Lebensfreude. Ja, es war kitschig. Seltsamerweise schlief sie tief, sehr tief. Es kam ihr vor wie eine Art Winterschlaf. Irgendwann würde sie als Rentnerin aufwachen.
    Sie schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben, und konzentrierte sich erneut auf die Akte. Die Leiche der Ehefrau blieb im Nirgendwo der Stadt verschwunden. Der Ehemann antwortete auf die Frage, wo seine Frau sei, wieder und wieder mit einem unverschämten Grinsen und faselte etwas vom Bermudadreieck.
    Fast bewunderte Myriam ihn. Für sein Durchhaltevermögen, seine Intelligenz, seine Unverfrorenheit.
    Doch er war es nicht wert, bewundert zu werden, und er verkörperte schon gar nicht einen dieser modernen Antihelden in ihren Serien, denen man immer noch etwas Faszinierendes oder Sympathisches abgewinnen konnte. Nein, der Mann gehörte einfach zu den Menschen, die keine Gefühle kannten, kein Mitleid. Ihm waren Verständnis, Erbarmen fremd. Er konnte sich noch nicht einmal an seiner eigenen Grausamkeit freuen.
    Dennoch oblag ihr als Staatsanwältin die Pflicht, entlastendes Material zu finden. Der Verwaltungsbeamte der öffentlichen Verkehrsbetriebe hatte sich bisher nichts zuschulden kommen lassen. Eine scheinbar perfekte Existenz. Bis zu dem Tag, an dem er entdeckte, dass seine Frau ihn betrog. Seit diesem Tag war er nicht wieder bei der Arbeit erschienen.
    Er kannte nur das eine Ziel: Rache. Und das eine Gefühl, das von nun an sein Leben bestimmte: brennende Eifersucht.
    Verdammt, dachte sie, ist es wirklich meine Aufgabe, sein Gefühlsleben zu analysieren? Seine Depressionen zu verstehen? Seine monatelange Schlaflosigkeit zu berücksichtigen? Wenn Myriam etwas hasste, dann die kritiklose Berücksichtigung von angeblich wissenschaftlichen Gutachten.

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