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Die Signatur des Mörders - Roman

Titel: Die Signatur des Mörders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Urteile sollten nur aufgrund von Indizien und Sachbeweisen gefällt werden.
    Totschlag. Mord. Er hatte seine Frau umgebracht. Ende.
    Irrelevant, wie sehr er sie geliebt oder wie stark diese alles verzehrende Eifersucht an ihm genagt hatte.
    Man musste nur die Akten lesen. Eine E-Mail, in der er ihren Tod ankündigte. Seine Tat besaß alles, was ein Tötungsdelikt zu einem Mord machte: Tötung aus Mordlust, Tötung aus Habgier, Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln usw. usw. Außerdem besaß sie sein Geständnis, in dem er seelenruhig den Ablauf der Tat rekonstruiert hatte. Mit diesem boshaften Lächeln auf den Lippen. Die Ermittlungen waren abgeschlossen, der Tathergang mit Hilfe des Angeklagten geklärt. Bis zum Prozess ging nun alles seinen Gang. Doch die Leiche blieb verschwunden.
    Hillmer bestand darauf, sie solle mit ihm verhandeln. Der Angeklagte könne ein milderes Urteil erwarten, wenn er das Versteck verriet.
    Nein. Sie schlug die Akte zu. Darauf würde sie sich auf keinen Fall einlassen.
    Hier stellte sie die Bedingungen, nicht Hillmer. Sie zog ein weiteres Tempotaschentuch aus der Handtasche, legte es um das Croissant und hatte dieses gerade im Mund, als das Telefon klingelte.
    »Ich bin’s.«
    Sie hatte kaum noch mit Henri gesprochen, ihn selten getroffen. Manchmal kurz auf dem Flur des Gerichtsgebäudes. Er hatte gefragt, wie es ihr gehe. Sie war einfach weitergegangen. Hatte ihm lediglich zugenickt. Flüchtig. Als wäre er irgendwer.
    Sie zog es durch. Natürlich. Wie immer. Und hasste ihn, aber vor allem sich selbst. Also würde sie einen Teufel tun und ihm entgegenkommen, indem sie fragte, weshalb er anrief.
    »Weißt du, wo Kellermann ist?«, hörte sie seine ruhige Stimme.
    »Ich glaube, er hat gerade eine Verhandlung.«
    Sie erwartete, dass er auflegen würde, doch das war nicht der Fall.
    »Ich habe schon Hillmer angerufen«, erklärte er, »aber er ist nicht im Gericht.«
    »Und?«
    »Wir brauchen jemanden von der Staatsanwaltschaft hier.«
    »Was habe ich damit zu tun?«
    »Wir haben hier einen …«, er stockte, »einen wirklich schlimmen Mord.«
    »Mord ist immer schlimm.«
    »Diesmal ist es anders.«
    Etwas in Henris Stimme ließ sie aufhorchen. Eine angespannte Erregung. Sie glaubte sogar ein Zittern in seiner Stimme zu bemerken.
    »Eine Leiche«, sagte er und fuhr nach einer kurzen Pause stockend fort: »Sie liegt dort bestimmt andterhalb Wochen, du kannst es dir nicht vorstellen. Es muss etwas Schreckliches vor sich gegangen sein.«
    Myriam schluckte. Anderthalb Wochen. Die Phase, wenn ein Mensch nicht mehr als solcher zu erkennen ist, wenn man aber noch kein Skelett vor sich hat. Wenn das Zerstörungswerk des Todes seine Macht zeigt, die nichts Großartiges hat, sondern nur unsere erbärmliche Hülle, diese billige Vergänglichkeit, den Lebenden auf dem Silbertablett präsentiert.
    »Wo?«, fragte sie.
    »Nieder-Eschbach, Ben-Gurion-Ring 158. Siebter Stock.«
    »Ich werde es Kellermann …«
    »Kannst du nicht kommen, Myriam? Ich würde dich nicht bitten, wenn es nicht wichtig wäre. Aber einer aus der Staatsanwaltschaft sollte den Tatort sehen.«
    »Ich kann jemand anderen finden«, schlug Myriam vor.
    »Nein«, widersprach Henri: »Ich will, dass du kommst!«
    »Warum?«
    Doch Henri hatte bereits aufgelegt.
     
    Obwohl es sich um eine dieser Siedlungen handelte, in denen man schnell die Orientierung verlor, weil alle Häuser gleich aussahen, in allen Höfen dieselben Kinder spielten, an jeden Balkon dieselbe Satellitenschüssel montiert war, konnte sie das Hochhaus mit der Nummer 158 nicht verfehlen.
    Myriam war Beamtin und damit weisungsgebunden. Sie musste in jedem Fall den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachkommen. So lautete die Gerichtsverfassung. Hillmer hatte zwar den Fall Kellermann übertragen, aber wenn die Ermittlungsbeamten die Anwesenheit der Staatsanwaltschaft forderten, musste es einen Grund geben.
    Mühsam drängte sich Myriam durch eine träge Menge von Gaffern, für die das Aufgebot an Polizei nichts Besonderes zu sein schien. Vielmehr verfolgten sie das Geschehen mit müdem Interesse, als handelte es sich um eine langweilige Daily Soap, bei der man das Bewusstsein ausschalten konnte, weil andere das Leben lebten, das man selbst nicht hatte. Myriam verstand genau, was in ihnen vorging.
    In dem kleinen muffigen Flur im Erdgeschoss wimmelte es bereits von Polizisten und Beamten der Spurensicherung. Sofort fiel Myriam die gedrückte Stimmung der Kollegen

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