Die Signatur des Mörders - Roman
erkannte in diesem Moment, dass sie etwas gemeinsam hatten, den unverbrüchlichen Willen in allem, was sie taten. Das konnte gut sein, doch manchmal war es einfach nur gefährlich.
Die Frau trat einen Schritt zur Seite: »Kommen Sie herein.«
Jess stellte bereits mit dem ersten Blick fest, dass das Büro prüder als eine Klosterzelle ausgestattet war. Dort fand man zumindest noch ein Kreuz oder eine Madonnenfigur. Hier gab es keine privaten Fotos, keine Souvenirs auf dem Schreibtisch, keine Zimmerpflanzen, keinen Kalender. Nur Akten, dicke Gesetzbücher, einen PC und das verstaubte Bild des Bundespräsidenten. Da konnte keine Gemütlichkeit aufkommen.
»Setzen Sie sich doch«, hörte sie die Staatsanwältin hinter sich.
Vor dem Schreibtisch stand ein einfacher Holzstuhl. Jess strich den Rock nach unten, bevor sie sich setzte. Sie fühlte sich plötzlich unsicher.
»Kaffee? Tee? Wasser?«
»Nein, oder ist das hier ein Friseur?«
Die Frau antwortete nicht, sondern schob sich hinter den Schreibtisch, von wo sie Jess abwartend beobachtete.
Mann, die sollte etwas sagen. Fragen stellen war doch ihr Job. Das hatte sie gelernt. Studiert.
Jess hatte auch Abitur. Wusste die Singer das? Weshalb sie trotzdem auf der Straße gelandet war? Abitur, das war so ein Persilschein für Intelligenz, oder? Nun, das war wie mit dem Spruch über Beton: Es kommt darauf an, was man daraus macht. Sie hatte nichts daraus gemacht. Hatte sich einfach nur in einen Spieler verliebt, für ihn gebürgt, Geld verloren und das Leben ihres Kindes aufs Spiel gesetzt.
Ende. Kurze Geschichte, die ein langes Leben dauerte. Super gemacht, Jess. Wirklich ein voller Erfolg.
Die Staatsanwältin rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Okay, Jess musste zur Sache kommen. Doch sie wusste nicht, wie sie anfangen sollte.
In diesem Moment fragte Myriam Singer betont zurückhaltend, um ihr Gegenüber nicht einzuschüchtern: »Warum sind Sie hier?«
Jetzt konnte Jess etwas sagen, aber sie brachte kein Wort über ihre Lippen.
»Wegen Helena, oder?«
Jess nickte, räusperte sich und fragte dann: »Wissen Sie schon, wer …?«
»Nein.«
Wieder nickte Jess. »Dieser Professor …«
»Milan Hus?«
»Er sitzt im Knast, oder?«
»Ja, warum?«
He, die Staatsanwältin bekam plötzlich diesen gierigen Blick, den Jess nicht ausstehen konnte. Sie sah aus wie ihre Kunden, die keine Geduld hatten. Augenblicklich wurde sie wieder nervös. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen herzukommen.
»Sie waren mit Helena befreundet?«, fragte die Staatsanwältin nun. Der lauernde Blick war verschwunden.
»Ich bin mit niemandem befreundet«, erwiderte Jess, »aber ich habe mich für sie verantwortlich gefühlt.«
»Ist das nicht dasselbe?«
»Ist es nicht. Aber sie hat mir alles erzählt. Ihr Leben, ihre Träume und so weiter.«
Die Frau betrachtete sie neugierig, als könne sie nicht glauben, dass jemand Jess freiwillig seine Geheimnisse anvertrauen würde.
»Sie war wie eine Tochter für mich … nein, wer will mich schon zur Mutter haben«, korrigierte sie sich schließlich. »Ich habe nur versucht, auf sie aufzupassen.« Sie zuckte bei ihren eigenen Worten zusammen, erwartete den Vorwurf, ihr sei es nicht gelungen, auf Helena aufzupassen, doch die Staatsanwältin schwieg.
»Was mir verdammt noch mal nicht gelungen ist«, gestand sie schließlich selbst.
»Es ist nicht Ihre Schuld.«
»Vielleicht nicht, vielleicht doch.«
Jess stockte für einige Sekunden, bis es aus ihr herausbrach. »Sie hat für mich getanzt. Ich … ich habe Männer zu ihr geschickt.«
»Das wissen wir bereits.«
Jess fühlte eine leichte Aggression in sich hochsteigen. Sie wollte jetzt alles schnell erzählen, ohne unterbrochen zu werden.
»Sie hat also für Ihre Freier getanzt?«, hakte die Staatsanwältin nach.
Freier. Das Wort gab es nicht mehr. Sie sprachen inzwischen von Kunden oder Klienten.
»Ja. Aber nur getanzt«, erklärte Jess. »Da bin ich mir völlig sicher.«
Nach einigen Minuten des Schweigens fragte die Staatsanwältin: »Daher die rote Unterwäsche?«
Jess nickte.
Myriam Singer erhob sich, um in dem winzigen Büro hin und her zu laufen. »Warum erzählen Sie mir das alles?«
»Von denen war es keiner. Das sind nicht solche. Ich habe immer aufgepasst, wen ich zu ihr schicke.«
»Es gibt keine Garantie.«
»Aber Menschenkenntnis. Glauben Sie mir, die habe ich inzwischen.«
»Das dachte ich auch«, erwiderte die Staatsanwältin.
»Aber deswegen bin
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