Die Signatur des Mörders - Roman
ich nicht hergekommen.«
»Warum dann?«
»Es gibt etwas, das ich Ihnen erzählen muss. Es geht um Helenas Vater. Vielleicht ist es wichtig.«
25
Manche Häftlinge, so Myriams Erfahrung, schienen im Gefängnis geboren worden zu sein.
Er nicht. Nein, Milan Hus passte nicht in diese Umgebung.
Aber vielleicht gehörte er dennoch hierher. Nach dem, was Jess ihr erzählt hatte, war sie unsicher, ob sie sich nicht in dem Mann vor ihr geirrt hatte. Nach der heftigen Auseinandersetzung mit Henri hatte sie ihm jedoch nichts von dem Gespräch mit Jess erzählt. Ja, sie alle pflegten ihre Eitelkeiten, versuchten stur ihre Positionen zu verteidigen. Das war ein Fehler, bestimmt, aber diesmal wollte sie als Erste mit Hus sprechen.
»Die schöne Staatsanwältin«, sagte Hus mit müdem Lächeln, als er sie erkannte. Er wartete, bis sie Platz genommen hatte. Die wenigen Tage im Gefängnis hatten es nicht geschafft, ihm seine Umgangsformen abzugewöhnen.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte sie und schaute ihm in die Augen. Manchmal half ein direkter Blick, damit der andere sich nicht hinter einer Ausrede oder einer glatten Lüge verstecken konnte.
»Gut«, erwiderte er, »sehr gut.« Ein erneutes müdes Lächeln trat auf seine Lippen. Er beherrschte die Spielregeln des Smalltalks perfekt und war nicht bereit, diese aufzugeben, mochte er sich auch noch so erbärmlich fühlen. Er würde die Höflichkeit nicht opfern, nur weil er in Untersuchungshaft saß.
Sie erwiderte: »Das freut mich.« Nachdem sie die Tasche abgesetzt hatte, reichte sie ihm die Hand. Anschließend zog sie den Aktenordner hervor, in dem sich die Anklageschrift befand, die Kellermann, soweit sie in der kurzen Zeit hatte feststellen können, ebenso ausführlich wie korrekt verfasst hatte.
»Brauchen Sie etwas?«, fragte sie. »Zigaretten vielleicht?«
Milan Hus bedachte Myriam mit einem amüsierten Blick. »Ich rauche nicht. Aber wenn Sie mir meine Freiheit wiedergeben könnten, wäre ich Ihnen dankbar.«
Das war kein schlechter Anfang für ihr Gespräch. Genau dies war schließlich ihre Absicht.
»Ich weiß nicht, ob Sie es bereits wissen«, erklärte sie, »aber die Ermittlungen in den Morden an Helena Baarova und Justin Brandenburg wurden an mich übergeben.« Sie schlug die Akte auf. »Sie haben sich bisher geweigert, zu Ihrer Verhaftung Stellung zu nehmen. Sie haben sich auch keinen Anwalt genommen.«
Unverwandt hielt er seinen Blick auf sie gerichtet, während er seine Hände aneinanderrieb. Das einzige Anzeichen von Nervosität. Woher er diese Ruhe nahm? Myriam hatte keine Ahnung. Warum schwieg er?
Sie beschloss, nicht lange herumzureden, stattdessen stellte sie die Frage, die ihr auf der Zunge brannte: »Warum?«
»Warum was?«, fragte er. »Warum ich schweige, oder warum ich die beiden erst gefoltert und anschließend umgebracht habe? Oder warum die Dinge so sind, wie sie sind, aber wir sie dennoch ertragen?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Myriam. »Vielleicht alles. Ich sage Ihnen jetzt etwas, was ich von Rechts wegen gar nicht dürfte, weil ich damit meine Kollegen denunziere. Wären dies von Anfang an meine Ermittlungen gewesen, säßen wir jetzt nicht hier. Nicht, weil wir keine Beweise gegen Sie hätten, sondern weil ich an Ihre Unschuld glaube.«
»Warum sind Sie sich so sicher?«
»Ich sage das nicht, um Sie zum Reden zu bringen, oder doch … ich möchte verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass Sie hier sind.«
»Ich verstehe es selbst nicht«, erwiderte er. »Ich habe noch nie im Leben etwas weniger verstanden. Dabei ist das Unbegreifliche schon immer Thema der Literatur. Es zu enträtseln gehört zu meinem Job. Aber vielleicht ist es mein Schicksal.«
Myriam ging auf diese Bemerkung nicht ein.
»Die Beweislage baut wesentlich auf den Manuskripten auf, die über eine Ihrer E-Mail-Adressen an das Antiquariat nach Prag geschickt wurden. Der Besitzer«, sie schaute auf die Notiz, »Filip Cerny, kennen Sie ihn?«
Hus nickte.
»Haben Sie die E-Mails geschrieben? Wollten sie damit Ihre Karriere befördern?« Als Hus nicht reagierte, fuhr sie fort. »Die Polizei glaubt das. Die hält das Ganze für eine Medienkampagne Ihrerseits.«
»Sie kommen gleich zum Punkt, oder?«
»Sie sind es, der keine Zeit zu verlieren hat.«
Er wollte etwas sagen, doch dann schwieg er.
»Was?«, hakte sie nach. »Erklären Sie es mir? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie solche Mittel benutzen, nur um als ›Kafkamörder‹ in die Kriminalgeschichte
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