Die Signatur des Mörders - Roman
verdammt noch mal?«, protestierte Ron.
»Es gibt nicht viele Orte, wo er sein könnte«, erwiderte Myriam.
»Hast du eine Ahnung«, erklärte Ron. »Er lebt auf der Straße. Er ist obdachlos und drogenabhängig. Er verkriecht sich nachts. In irgendein Loch, das die Stadt ihm lässt.«
»Wie viele Löcher davon gibt es denn?«, zischte Myriam. »Und wozu fährt die Polizei Streife? Geben wir eine Suchmeldung heraus.«
»Warum hat das nicht bis morgen Zeit?«, fragte Ron.
Darauf gab es eine Antwort. Sie spürte es ganz deutlich, konnte es nur nicht benennen, aber etwas in ihrem Hinterkopf braute sich zusammen. Eine Erkenntnis. Die klare Vorstellung dessen, was Alex dort im Tunnel gemacht hatte. Warum er dort gewesen war.
»Ich weiß es noch nicht. Nur eines ist klar: Er war dort nicht zufällig. Denkt an den Hut!«
»Ich brauche vorher einen Schluck Wein«, sagte Henri.
»Jetzt?«, fragte Myriam.
»Wann dann? Es ist mitten in der Nacht. Ich bin seit sechs Uhr auf den Beinen. Ich habe kein Privatleben«, er schaute Myriam an, »nichts, was mein Leben lebenswert macht, außer dem Glas Wein am Abend, das mir wenigstens ab und zu das Gefühl vermittelt, etwas Privates zu tun. Und da du nicht lockerlässt, wird diese Nacht lang, also bleibt mir nichts anderes übrig. Ich muss ab sofort im Dienst trinken.«
»Ehrlich gesagt, Alter«, sagte Ron und sah auf seine Uhr, »bist du gar nicht mehr im Dienst.«
»Laut Dienstplan vielleicht. Aber bis dieser Fall gelöst ist, laufe ich ständig auf Standby. Also, Berit, bring mir ein Glas Wein, bevor ich einem Drogenabhängigen mit Hut hinterherjage, der sich in den Katakomben dieser Stadt verbirgt.«
»Machst du dich über mich lustig?«, fauchte Myriam.
»Wenn ich das täte, würde ich aufstehen und gehen.«
»Ich glaube, im Kühlschrank steht noch eine Flasche«, mischte Berit sich ein und erhob sich. »Sonst noch jemand?«
»Ich hätte lieber ein Bier«, murmelte Ron resigniert.
»Myriam?« Berit sah sie abwartend an.
»Nein, mein Verstand ist bereits von dem bisschen Rum benebelt. Wenn ich jetzt noch etwas trinke, kann ich überhaupt nicht mehr klar denken.«
Berit verließ den Raum, und die drei saßen schweigend da und hörten auf die Stille im Zimmer. Wie viel Zeit hatten sie im letzten Jahr so zusammen verbracht, nur jetzt war es anders. Myriam gehörte nicht wirklich dazu. Sie war der Außenseiter. Sie sollte die Ermittlungen leiten, und die beiden gaben ihr das Gefühl, dass sie störte. Der Spielverderber. Sie waren eher bereit, Kevin Wagner zu akzeptieren, als sie. Sie störte das Gleichgewicht in der Zusammenarbeit der Ermittler und der Staatsanwaltschaft. Aber sie konnte nicht anders. Das hier war kein normaler Fall. Es ging nicht darum, Ermittlungen zu leiten, die zum Täter führten, und Beweismaterial zu sammeln, um ihn anzuklagen.
Es gab nur ein Ziel: den Mann zu stoppen, der seine wahnsinnigen Ideen auslebte. Myriam schob jeden Gedanken an einen späteren Prozess beiseite. Es war belanglos, ob die Ermittlungen korrekt verliefen.Verfahrensfehler waren ein Wort, das sie plötzlich verachtete. Der verfluchte Dienstweg ging ihr, verdammt noch mal, am Arsch vorbei. Wenn Ron und Henri nicht mitspielten, würde sie auch alleine losziehen, um diesen Alex zu finden.
Henri holte tief Luft: »Wo genau hast du ihn getroffen?«
»Am Merianplatz«, erwiderte sie. »Er kann nicht weit gekommen sein.«
Berit kam mit einem Glas Wein und einer Flasche Bier zurück und stellte beides auf dem Glastisch ab.
»Ich muss die ganze Zeit an das Manuskript denken«, sagte sie.
Im ersten Moment wusste Myriam nicht, wovon sie sprach. »Das Manuskript?«
»Ron hat mir davon erzählt. Was, wenn dieser Mann, der vermisst wird …«
»Paul Olivier?«
»Ja, wenn der irgendwo dort unten ist.«
»Wo unten?«, Myriam verstand nicht, was Berit damit sagen wollte.
»In der U-Bahn.«
In diesem Moment hörten sie das Weinen aus dem Kinderzimmer. Gleich darauf eine zweite Stimme, die in Gejammer ausbrach.
»Herrgott«, fluchte Ron. »Ausgerechnet jetzt.«
»Beruhige dich«, sagte Berit. »Die Kinder sind der letzte Grund, um auszurasten.«
»Darf ich mitkommen?«, fragte Myriam.
Ein schwaches Licht erhellte das Kinderzimmer, und aus zwei Gitterbetten erklang lautstarker Protest gegen die nächtliche Ruhestörung.
»Schon gut, ganz ruhig …«, hörte sie Berit murmeln.
Myriam ging zum zweiten Bett, aus dem ihr Marie mit hochrotem Gesicht entgegenschrie. »Recht hast
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