Die Signatur des Mörders - Roman
Schock.«
»Und Ihnen hat niemand etwas erzählt?« Myriam war fassungslos.
»Nein, davon hatte ich bis heute keine Ahnung. Mein Gott, die armen Jungen. Was muss nur in ihnen vorgegangen sein.« In dem Moment, als Frau Kramer erschüttert den Kopf schüttelte und murmelte: »Warum haben die beiden kein Wort darüber verloren?«, guckte Myriam kurz zu Ron. Ganz schwach, nur für sie wahrnehmbar, schüttelte er den Kopf.
Seine Stimme verriet nichts von seinen Gefühlen, als er fragte: »Wie können wir Simons Vater erreichen?«
»Herrn Sanden? Am besten in der Universitätsklinik.«
Myriam und Ron sahen sich alarmiert an.
»Er ist Arzt?«
»Ja, natürlich. Professor Dr. Sanden, Chefarzt der Chirurgie im Uniklinikum Frankfurt.«
Als Myriam und Ron sie bestürzt anschauten, fügte die Haushälterin nicht ohne Stolz hinzu: »Und ich denke, Simon wird in die Fußstapfen seines Vaters treten. Seit ich denken kann, interessiert er sich für Medizin.«
35
Pauls Lage, es war ihm durchaus bewusst, war ebenso real wie verzweifelt. Er war in einen engen Raum eingesperrt, dessen einzige Lichtquelle ein winziges rotes Lämpchen war, das ab und zu blinkte.
Sein Leben lang hatte Paul darum gekämpft, gesehen, wahrgenommen, bemerkt zu werden. Bis Milan gekommen war, ihm vertraut, ihn ans Licht geholt hatte.
Der Augenblick des gegenseitigen Erkennens hatte sich fest in ihm eingebrannt. Er hatte spüren können, wie Milans Blick die düstersten Kammern seines Gehirns durchdrang, eine Tür nach der anderen in ihm öffnete und Dinge ans Tageslicht holte, von denen er nicht geahnt hatte, dass er sie in sich trug.Wenn er in Milans Armen lag, schien dieser sein Herz in der Hand zu halten, das leidenschaftlicher schlug als je zuvor in seinem Leben.
Doch dies war vorbei. Er saß hier im Dunkel, war verurteilt, in der Nacht, der Stille und der Einsamkeit wachzuliegen.
Er spürte das Rauschen, noch bevor er es hörte. Es näherte sich langsam, bis es von Minute zu Minute lauter, das Dröhnen unerträglich wurde und das Geräusch durch Mark und Bein ging. Davor fürchtete Paul sich am stärksten. Vor dem Widerhall der Erde, die bebte, und der dumpfen Stille, die unweigerlich folgte.
Dies war schlimmer als die Dunkelheit, diese vollkommene Schwärze, in der es keinen Unterschied machte, ob er die Augen offen hielt oder schloss.
Was war dort draußen?, fragte er sich immer wieder. Eine Nacht ohne Mond. Eine Kälte ohne Winter. Die Stille nach dem Beben.
Er versuchte wach zu bleiben, indem er sich erinnerte. Sie waren auf dem glatten Boden im schwachen Schein einer Fackel gelaufen. Immer geradeaus. Manchmal war Paul gestolpert und gefallen. Der andere, ER, hatte gewartet, bis er sich wieder aufrichtete.
Warum war er dem Schweigen gefolgt?
Die Hand im Traum. Sie winkt, man geht ihr nach.
ER hatte erklärt, der Weg sei nur kurz, und Paul war ihm blindlings hinterhergegangen. In diesen Raum, der ein steinerner Sarg war, in dem man gerade noch die Hände frei ausstrecken konnte.
Er wusste nicht, in welcher Tiefe unter dem Erdboden sich seine Zelle befand. Er bildete sich ein, es sei einer der tiefsten Orte unter der Oberfläche der Stadt. Weiter hinab ging es nicht.
Paul lehnte mit dem nackten Rücken gegen die feuchte Steinwand. Der Boden unter seinen Füßen bebte. Das Dröhnen schwoll langsam an. Die Hände schossen hoch zu seinen Ohren, und er presste sie fest dagegen, um sie in dem Moment loszulassen, wenn es am lautesten wurde, wenn das Schrillen durch seinen Körper fuhr, ein Geräusch schlimmer als jeder Schmerz.
Er saß nackt am Boden. Nackt in dieser Zelle, die völlig leer zu sein und nur aus kalten Mauern zu bestehen schien. Und nackt war er stundenlang auf dem eisigen, feuchten Boden herumgekrochen, in der Hoffnung, einen Ausweg, ein Loch zu finden.
Eng. Alles war eng. Es gab keinen Platz. Die Mauern rückten von Minute zu Minute dichter an ihn heran.
Er begann sich zu fragen, ob er sich alles nur einbildete. Vielleicht gab es keine vierte Wand. Vielleicht war sie nicht vorhanden, er stellte sie sich nur vor und hielt sich selbst gefangen. Der Gedanke war unaussprechlich grausam und erschien ihm daher umso realer.
»Ich muss vielleicht nur die Hand ausstrecken«, überlegte er laut. Unwillkürlich fassten seine Hände an den Kopf. Seine Stimme klang unerträglich schrill. »Dann weiß ich, ob die vierte Wand existiert. Oder ob ich sie mir nur einbilde.«
Doch er wagte es nicht, saß regungslos da, ließ seine
Weitere Kostenlose Bücher