Die Silberdistel (German Edition)
waren wir alle aufgekratzt wie wilde Hühner. Dennoch schaffte er es irgendwie, uns die bevorstehenden Aufgaben zu erklären: Wir sollten auf der für dieses Ereignis angefertigten Zuschauertribüne die Gäste mit Erfrischungen bewirten und aus großen Kannen Bier und Wein, aber auch Apfelmost und Wasser einschenken. Wehe, wenn wir das prachtvolle Gewand eines Gastes beschmutzten! Er ging nicht soweit, uns für diesen Fall Prügel anzudrohen, doch hätte ich es freiwillig nicht darauf ankommen lassen wollen. Danach mußten wir uns in einer Art Kniefall üben. Und obwohl er lautstark klagte, daß wir dabei aussähen wie hinkende Kühe auf der Wiese, schickte er uns dennoch nach kurzer Zeit nach draußen.
»Ich kann es nicht ändern, die Zeit drängt. Wenn Ulrich den Landfürsten spielen will, muß er sich damit abfinden, daß seine Gäste von Kuhmägden bedient werden! Ich kann nur noch beten, daß nicht eine Katastrophe passiert!«
Verstohlen blickten wir uns an. Allmählich begannen unsdoch die Knie zu zittern. Zuerst sollte uns noch eine Gnadenfrist beschieden sein, denn der Herzog hatte angeordnet, daß während der eigentlichen Turnierkämpfe die Aufmerksamkeit der Gäste nicht durch die Bewirtung abgelenkt wurde. Was mir nur recht war, denn so hatte ich endlich die Gelegenheit, die Farbenpracht, die sich vor meinen Augen abspielte, zu genießen.
Der eigentliche Turnierplatz bestand aus einer großen, viereckigen Wiese, die von rotangestrichenen Holzbarrikaden eingegrenzt wurde. Zu beiden Längsseiten waren auf einer Erhöhung die Zuschauerbänke untergebracht, und an der oberen, kurzen Seite lag der Eingang, durch den nun zwei Dutzend Pferde hereingaloppiert kamen. Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen, als ich die Rösser sah! Nach einer Ehrenrunde, die von den Zuschauern laut beklatscht wurde, stellten sich die Reiter in zwei Gruppen einander gegenüber auf.
»Schau doch nur«, flüsterte Sophie mir aufgeregt zu, »die Verkleidung! Hast du so etwas schon einmal gesehen?«
»Ja«, gab ich ebenso leise zurück, »in meinem Heimatdorf auf der Alb gab es zu Pfingsten ähnliche Reiterspiele, zwar bei weitem nicht so prächtig, aber im Grunde genommen ähnlich. Es geht dabei darum, daß der Winter gegen den Sommer kämpft, und so gibt es zwei Fähnlein, die gegeneinander mit der Lanze antreten.«
Gebannt blickte Sophie nach vorne. »Des Herzogs Mannschaft ist wohl der Sommer, nicht wahr? Schau doch nur, wie haben die bloß diese kunstvollen, grünen Gebilde auf die Pferde gebracht?«
»Das sind Laub, Gras und Blüten, die auf einem Drahtgerüst aufgebunden sind. Bei der Herstellung des Gewandes für den Blumengrafen, wie man den Anführer, also den Herzog, nennt, habe ich vor meiner Heirat immer helfen dürfen. Das war eine feine Arbeit!« Ich wollte gerade wehmütig werden, als mir einfiel, daß ich gerade heute keinen Grunddazu hatte, wo doch mein Streich so vielen Menschen Freude bereitet hatte.
»Der Blumengraf und sein Fähnlein kämpfen nun gegen den Wintergrafen. Ich glaube, das ist dieser Hans von Hutten … ja, das ist er. Der Arme wird ganz schön schwitzen unter seinem dicken Pelzbehang!«
»Wahrscheinlich hat der Herzog deswegen die Rolle des Sommers übernommen, hihihi, dem wär’s wohl schnell unwohl geworden unter diesen dicken Fellen!«
»Tja, als Herzog kann er sicher wählen, welche Gruppe er anführt. Aber ich glaube, er spielt den Sommergrafen auch noch aus einem anderen Grund …«
»Und der wäre?« Neugierig blickte Sophie zu mir herüber.
Doch alles wollte ich nun auch nicht verraten. Aufmerksam schauten wir zu, wie die beiden Gruppen immer wieder aufeinander zuritten und wie der Sommergraf dem Winter mit seiner Lanze bei jeder Begegnung eine weitere Blessur zufügte. Am Ende hingen die Pelze des Winters nur noch in Fetzen herunter, was von den Gästen lautstark bejubelt wurde. Hans von Hutten gab eine wirklich klägliche Figur ab, während der Sommer, und somit der Herzog, als strahlender Sieger aus diesem Spiel hervorging. Dabei bemerkte ich, wie Herzog Ulrich immer wieder suchend in die gleiche Richtung blickte. Zuerst dachte ich, er würde um Beifall heischend zu seiner Gattin schauen, aber Ulrichs Adleraugen hatten ein anderes Ziel: Mit einem gierigen Blick verschlang er die Schönheit des jungen Mädchens, das, wie in der Kirche, in Begleitung ihres fettleibigen Vaters auftrat. Schamlos und ohne sich um die anderen zu kümmern, tändelte er von seinem Pferd aus mit der
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