Die Silberdistel (German Edition)
nachgegeben und den Bürgermeister und sein Weib ungestraft gelassen. Wäre es aber nicht mehr als gerecht, die Herrschaften einmal dieselben Mittel spüren zu lassen, welche diese ein Leben lang an ihren Untergebenen anwendeten? War Brabant etwa gnädig? Waren es Abt Richard oder der römische Kadaver?
Er zwang sich zu einem ruhigeren Ton.
»Niemals würde ich von dir etwas verlangen, bei dem andere zu Schaden kommen. Ich weiß, daß du als Heilerin Gewalt nicht vertreten kannst, egal, um welchen Spitzbuben es sich auch handeln mag. Aber daß wir uns nicht mit Worten allein wehren können, muß dir wohl auch klar sein. Deshalb bitte ich dich um folgendes …«
Es war noch nicht hell, als Asa am nächsten Morgen mit einem großen Sack bepackt ihre Hütte verließ. Nach Jergs Besuch war an Schlaf nicht mehr zu denken gewesen, und so hatte sie den Rest der Nacht damit verbracht, ihr Vorhaben vorzubereiten. Leicht würde es nicht werden unter den Augen der Soldaten, von denen es überall nur so wimmelte. In eine dicke Jacke gehüllt, ein Tuch um den Kopf gebunden und ein weiteres über das halbe Gesicht gezogen, ging sie in die eisige Kälte hinaus. Der Frost knirschte unter ihren Füßen. Vor jeder Tür hielt sie an, holte einen grünen Zweig aus ihrem Sack und schwenkte diesen hin und her, bevor sie ihn am Gebälk der Tür befestigte. Danach klopfte sie an und trat ein. Kurze Zeit später sah man sie wieder herauskommen und weitergehen. Asa hatte sechs solcher Besuche gemacht, als sie auf einmal bohrende Blicke im Rücken spürte. Vorsichtig drehte sie sich um und sah ihre Befürchtung bestätigt. Nur wenige Häuser von ihr entfernt standen die Soldaten der Burg. Sie hob ihren Sack vom Boden auf und ging weiter, zum nächsten Haus, dem siebten an diesem Morgen. Wie zuvor, blieb sie auch hier stehen und wedelte mit einem grünen Zweig auffällig hin und her. Dann klopfte sie an und wurde sofort hereingelassen. Sophie, die jüngere Tochter des Tabener Schmiedes, stand mit fahlgrauem Gesicht vor ihr. Aufgeregt flüsternd packte sie die Heilerin am Arm.
»Asa, was geht vor sich? Hast du Neuigkeiten von Jerg? Was wollen die Soldaten?«
Vorsichtig lugte Asa durch einen Fensterspalt hinaus. Die Soldaten standen noch immer an derselben Stelle, aber wie lange noch? Sie packte Sophie am Handgelenk.
»Es ist jetzt keine Zeit für lange Reden. Wer weiß, wie lange die Soldaten mir noch so seelenruhig zusehen. Wo sind eigentlich der Schmied und deine Schwester?« Erst jetzt fiel ihr auf, daß das Haus seltsam ruhig war.
»Der Vater? Der ist schon wieder in seiner Werkstatt. Waffen will er herstellen. Heute ist Elfriede an der Reihe zumHelfen. Er sagt, ob einer oder zwei an der Esse stehn und klopfen, tät’ niemandem auffallen, so …«
Asa unterbrach sie. »Gut. Waffen werden sie dringend brauchen, die Männer von Taben. Jetzt paß gut auf, was ich euch zu sagen habe. Wahrscheinlich ist euer Haus das letzte, das ich heute morgen besuchen kann.« Mit klopfendem Herzen beobachtete sie durch den schmalen Spalt, daß die Soldaten immer näherkamen. Hastig sprudelte Jergs Nachricht aus ihr hervor.
Bei ihren Worten wurde Sophie noch blasser. »Um die Mittagszeit am Hungersberg … und Waffen mitbringen … Dann ist es jetzt also wirklich soweit! Was hat er vor, der Jerg? Will er die Burg stürmen und endlich holen, was uns allen zusteht? Oder hat er es womöglich auf Kloster Weil abgesehen? Dessen Vorratskammern müssen doch zum Bersten voll sein mit Getreide, Speck und Wein!«
Asa zuckte mit den Schultern und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als draußen jemand laut gegen die Tür hämmerte.
»Sofort aufmachen, ihr da drinnen, sonst treten wir die Tür ein!«
Erschrocken blickten sich die beiden Frauen an. Asa biß sich auf die Lippen, warf sich ihren Sack über die Schulter und öffnete mit einem Ruck die Tür.
»He, du altes Weib! Was machst du hier in aller Herrgottsfrüh«, herrschte einer der Soldaten sie an.
Asa schrak sichtlich zusammen. Abwehrend streckte sie beide Hände von sich. »Um Himmels willen, bleibt, wo ihr seid!«
»Was soll das?« Der Soldat machte einen Schritt auf sie zu, doch dann stutzte er. »Du bist die Heilerin aus dem Dorf, nicht wahr?«
Asa nickte. Da die Soldaten und das Gesinde auf der Burg bei Krankheiten von einem Bader behandelt wurden, der zweimal im Jahr durch diese Gegend fuhr, kannten dieSoldaten sie nicht näher. Doch durch ihr auffälliges Verhalten hätte eigentlich
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