Die Silberdistel (German Edition)
Konrad damit beschäftigt, weitere Anhänger für ihre Sache zu finden. Auch Jerg war mit Feuereifer bei der Sache. Bantelhans’ Vertrauen beflügelte ihn regelrecht, und es gelang ihm, mehr Bauern für den Geheimbund anzuwerben, als er anfänglichgedacht hatte. Als Ulrich unter dem Druck der Städte und der Landschaft die verhaßten Steuern zurücknahm, jubelten die Menschen in Stadt und Land. Genährt von diesem ersten Erfolg, wuchs vorsichtig ein zartes Pflänzchen heran, das Hoffnung hieß und dessen Wurzeln von den meisten Bauern schon längst für tot gehalten worden waren. Vielleicht würde sich doch etwas zum Besseren ändern …
In seltenen Fällen stieß Jerg in einem Haus auf Widerstand. Wenn dies der Fall war, machte er sich eilig wieder davon, ohne sich und seine Sache zu verraten. Mittlerweile hatte er einen guten Weg gefunden, um herauszubekommen, wo einer stand, ohne zuviel von sich selbst zu erzählen. Auch seine häufige Abwesenheit bereitete ihm weniger Probleme als ursprünglich angenommen. Zuerst hatte er sich alle möglichen Ausreden einfallen lassen: Heute wollte er den Karl auf ein Bier treffen, morgen dem Fritz dabei helfen, dessen Scheuer auszubessern, und übermorgen würde ihm schon wieder etwas anderes einfallen. Doch dann hatte er einen Geistesblitz, für den er seinem Herrgott dankte.
Eines Abends überraschte er seine versammelte Familie mit der Nachricht, daß er einen Männerchor gründen wolle. Cornelius verschluckte sich vor Erstaunen an seinem Stück Brot, und auch den beiden Frauen fiel dazu nichts ein. Jerg beeilte sich, sämtliche Vorzüge seiner neuen Idee aufzuzeigen: Solch ein Chor könne bei allen Festlichkeiten im Dorf singen und bei denen der Nachbardörfer noch dazu! Die Männer hätten dadurch etwas wohlverdiente Abwechslung. Und außerdem: Hatte Cornelius selbst nicht immer behauptet, daß er, Jerg, eine schöne Stimme habe? Jerg entgingen die mißtrauischen Blicke seines Bruders nicht, deshalb frohlockte er um so mehr, als von Cornelius dennoch keine Widerrede kam. Damit war das Thema erledigt. Jerg glaubte, eine perfekte Tarnung gefunden zu haben.
Deshalb traf es ihn völlig unerwartet, als diese in Frage gestellt wurde. Und noch viel unerwarteter war für ihn, wer sich über seine häufige Abwesenheit beklagte! Denn es waren weder Lene noch Marga, die irgendwelche Zweifel hegten. Auch Cornelius war mit Jergs Erklärung zufrieden. Die Gefahr drohte von ganz anderer Seite …
Eines Abends kam er aus Owen, dem nächstgelegenen Dorf. Dort hatte er mehrere Familien unter dem Vorwand besucht, neue Mitglieder für seinen Männerchor zu werben. Hatte er erst einmal in einem Haus Einlaß gefunden, ergab sich alles andere meist wie von selbst. Fast überall wurde ihm ein Becher Wein oder Bier angeboten, und schnell saß man gemeinsam an einem Tisch. Dann begann Jerg von seinen Plänen für einen Männerchor zu erzählen, und schließlich redete man über Gott und die Welt. Dabei achtete Jerg sehr genau auf die Äußerungen seines Gegenübers: Erschien ihm ein Mann zu unterwürfig, schicksals-oder gottergeben, beließ er es bei seinem allgemeinen Geplänkel. Hörte er jedoch beim einen oder anderen ein paar wütende Untertöne heraus, wußte er, daß er richtig war. Die meisten dieser Männer verstanden seinen unauffälligen Wink und schickten ihre Weiber hinaus, so daß man ungestört reden konnte. Und erst dann begann Jerg, vom Armen Konrad zu erzählen … Er mußte vor sich hin schmunzeln, als er an seinen letzten Besuch des Abends dachte. Das war schon ein Höllenhund, der Rauner Hannes! Jerg schüttelte den Kopf. Er dachte an den jungen Kerl mit den roten Wangen und hellblauen Augen, dessen strohblonde Haare immer wie wild in die Höhe standen, egal wie oft er sie auch mit der Hand glattstreichen mochte. Mit seinen dicken, roten Backen und seinem Lämmchenblick sah Johannes Rauner wie ein zu groß geratenes Kleinkind aus, das kein Wässerchen trüben konnte. Doch Jerg kannte Johannes, der von seinen Freunden nur Hannes gerufen wurde, auch von einer völlig anderen Seite: als wüsten Raufbold, der, wenn er zuviel getrunken hatte, auf die übelste Art ausfallend werden konnte und dann vor keiner Rauferei zurückschreckte. »Hat der Hannes zuviel Becher Wein, dannlaß ihn am besten allein!« war ein Sprüchlein, das in den umliegenden Wirtshäusern die Runde machte und durchaus seine Richtigkeit hatte. Jerg hatte sich lange überlegt, ob er ihn überhaupt ansprechen
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