Die Silberdistel (German Edition)
der Mann da vorne verbreitete, war ungeheuerlich! Verbote, Verbote, Verbote!
»Die neue württembergische Landesverordnung besagt weiterhin ein Verbot der Fasnet und das Tragen der Butzenkleider während dieser Zeit …«
Während der Mann geräuschvoll nach seiner nächsten Papierrolle kramte, dachte ich über den Unsinn dieses Verbotes nach. So einen harmlosen Spaß zu verbieten, was sollte denn das? In einigen Dörfern waren dies die wildesten Tage im Jahr! Männer und Weiber tauschten die Kleider oder trugen Butzenkleider, so daß am Ende niemand mehr wußte, wen er vor sich hatte!
»… wer will halten Hochzeit, der soll nur noch einladen Vater, Mutter, seine Kinder, Geschwister, und nicht mehr denn acht Personen!« Ohne Luft zu holen, fuhr der Mann fort: »Wer muß sein Leut’ begraben, der soll dies ohne fremde Personen tun und nicht mehr feiern den Leichenschmaus!«
Nun machte sich unter den bisher recht geduldigen Zuhörern doch Unmut breit. »Dann brauch’ ich auch nicht zu heiraten, wenn’s kein Fest geben soll!« rief ein fescher jungerBursche neben mir, wofür er von seinem zukünftigen Weib einen Stoß in die Rippen bekam. »Ja, und unsere Leut’ beerdigen ohne Leichenschmaus, das geht doch nicht! Die Toten muß man ehren, und die Lebenden auch! Habt Ihr das noch nicht begriffen?« Der Sprecher, ein kräftig gebauter Mann, dessen schwere Lederschürze ihn als Schmied verriet, ballte die Hand zur Faust.
»Die Taufsuppe soll nicht mehr gereicht werden und das Kindbettmahl nur an die Personen, die anwesend waren bei der Geburt des Kindes!« Die Augen des Sprechers leuchteten bei diesen Worten tiefbefriedigt, während er in die Runde blickte. Seine zusammengekniffenen Mundwinkel sprachen von einem Leben, welches einzig der Arbeit und Pflichterfüllung gewidmet und in dem jede Ablenkung verpönt war. Ihm schienen solche Feierlichkeiten fremd, vielleicht sogar verhaßt, und er konnte gewiß nicht verstehen, was die Menschen in den endlosen Sauf-und Freßgelagen sahen. Herzog Ulrichs neue württembergische Landesverordnung mochte ihm somit geradezu aus dem Herzen sprechen. Genüßlich fuhr er damit fort, der Liste von Verboten ein weiteres hinzuzufügen:
»In Zukunft soll außerdem die Kirchweih verboten sein, und niemand darf fremd’ Gäste einladen, sonst muß er zwei Gulden Strafe zahlen!« Dieser Punkt schien dem Sprecher besonders zu gefallen, jedenfalls ließ er die Worte wie dickgeschlagene Sahne von den Lippen rinnen. Danach räusperte er sich, und er beendete seine Rede mit den folgenden Worten:
»Für die Befolgung der neuen württembergischen Landesverordung sind verantwortlich der Schultheiß sowie der Lehnsherr, auf daß keiner mit den Gesetzen breche! Wer es dennoch wagen sollte, wird mit hohen Strafen an seinem Hab und Gut belegt oder an Haut und Haar bestraft!«
Ich hätte dem aufgeblasenen, hageren Schreiberling am liebsten vor Wut eine Ohrfeige verpaßt, und so, wie diemeisten Zuhörer aussahen, erging es ihnen nicht anders. Doch der Mann wußte ganz genau, daß ihm hinter der dichten Mauer aus Soldaten nichts geschehen konnte. Die düsteren Blicke der in Eisen gewandeten, mit groben Stöcken und scharfen Spießen bewaffneten Soldaten reichten als Abschreckung, um die Menschen davon abzuhalten, ihrem Ärger Luft zu machen. Keiner war da, der seinen Unmut offen kundtat, niemand, der es wagte, ein Wort dagegen zu sprechen. Viele schienen sich an das vergangene Jahr zu erinnern, wo auf dem selben Platz, am selben Tag die Hölle los war, als die neuen Steuern verkündet wurden. Aber das Blutbad, in dem der Arme Konrad später ertränkt worden war, war noch lange nicht vergessen. Ein paar neue Verbote – sollten die Menschen deshalb erneut ihr Leben riskieren? An diesem ersten Montag im März 1515 entschieden die Menschen sich leider dagegen.
»Will die Obrigkeit uns denn jede Freude, jede Feier vereiteln?« fragte ich Weiland leise flüsternd. Der gab bitter zurück: »Genau dies scheinen sie im Sinn zu haben! Den Leuten soll keine Gelegenheit mehr gegeben werden, sich zu treffen und dabei womöglich Gedanken auszutauschen, die sich gegen die Obrigkeit und ihre Gesetze richten! Das ist die Antwort auf die Unruhen des Armen Konrad! «
»Was redest du da, Pfaff? Euch Kirchenmännern ist doch eh jede Feier ein Dorn im Auge! Euch werden solche Gesetze doch gerade recht kommen«, spuckte Weilands Nebenmann diesem ins Gesicht. Nun drehte sich auch ein kleiner, untersetzter Alter um und
Weitere Kostenlose Bücher