Die Silberdistel (German Edition)
genommen hatte, die achselzuckend danebengestanden hatte, während sich meine Welt in ein Nichts auflöste. Und da geschah etwas ganz Seltsames: Statt abgrundtiefen Haß zu verspüren, wie ich dies erwartet hatte, regte sich etwas ganz anderes in mir. Mir war, als könne ich für die Dauer eines Flügelschlags in ihre Seele blicken. Mit Schrecken erkannte ich dort so tiefe Narben, wie ich sie mir in meinen schlimmsten Träumen nicht hätte vorstellen können. In einer dunklen Ecke sah ich ein zusammengekauertes, kleines Mädchen sitzen, das sich mit bloßen Händen vor einem grauenvollen Dämon zu schützen versuchte. Doch ehe ich mir einen Reim darauf machen konnte, war es vorbei, und ich sah wieder die alte Sureya vor mir stehen. Sie wich meinem Blick als erste aus, um sogleich in übertriebener Weise den Burgverwalter anzuhimmeln, was dieser sichtlich zu genießen schien. Seine fette, weiße Hand tätschelte Sureyas Arm.
»Weiland, Weiland … wie tief seid Ihr doch gesunken! Bei Eurem letzten Besuch auf meiner Burg wart Ihr dem Sumpfe noch nicht so nahe wie jetzt, wenn ich mich recht erinnere! Wie die Zeiten sich ändern … hihihi … ach – und wen haben wir denn da?« Jost tat, als hätte er Cornelius gerade eben erst bemerkt. Dieser ballte schweigend die Hände zu Fäusten zusammen. »Einen der Gebrüder Braun! Nun, der andere ist ja wohl über alle Berge, nicht wahr!« Sein Leib schüttelte sich vor Lachen. Doch dann machte sein belustigtes Narrengesicht Platz für die Fratze der Bosheit. Haßerfüllt spuckte er Cornelius ins Gesicht: »Wenn’s nach mir gegangen wäre, wär’ dein Bruder heute um einen Kopf kürzer! Aber irgend jemand hat ihn damals wohl gewarnt! Wer das war, das krieg’ich noch raus, und dann kommt der auch dran, das versprech’ ich dir!«
»Verräter! Was wollt Ihr schon gegen Jerg unternehmen? Mein Bruder ist doch viel zu schlau und zu schnell für Euch! Bis Ihr Euren Fettwanst von Eurem Lager hievst, hat der schon sein Tagwerk getan«, entgegnete Cornelius mit vor Spott triefender Stimme. Den Blick, den er dem Burgverwalter schenkte, hätte man sonst höchstens einem verlausten Straßenköter zugeworfen.
Josts Gesicht verfärbte sich dunkelrot. »Freche Worte? Du kommst mir gerade recht! Hast du nicht zugehört, was der Redenschwinger da vorne gebrabbelt hat? Der Lehnsherr muß für die Einhaltung der neuen Gesetze sorgen! Das wird er tun, das versprech’ ich euch! Und euch werde ich dabei ganz besonders im Auge behalten.« Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um und ging davon.
»Und sollte der Lehnsherr sein Ziel einmal aus dem Auge verlieren, werde ich ihn daran erinnern! Merkt euch das, ihr Lumpenvolk!« Wie eine Schlange verspritzte Sureya ihr Gift, bevor sie ihren dicken Leib ebenfalls in Bewegung setzte.
Zurück blieben ein verwirrter Pfarrer, ein zorniger Cornelius, Asa und ich. Für eine kurze Zeit schwiegen wir alle. Dann raffte Asa ihre Röcke zusammen und drehte sich zum Gehen um. Noch ehe ich sie zurückhalten konnte, war sie hinter der nächsten Ecke verschwunden.
Wieder spürte ich, daß Weiland seinen Arm um meine Schulter legte. »Laß sie ziehen, Marga. Asa hat ihre eigene Art, mit den Dingen fertigzuwerden.«
Ich blickte in die Richtung, in die Asa verschwunden war. Im Gegensatz zu anderen Menschen fürchtete Asa die Einsamkeit nicht. Cornelius begann zu sprechen.
»Du hast dich verändert, Marga«, stellte er fest. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, während er mich mit einem eigentümlichen Blick musterte. »Irgendwie erwachsener bist du geworden – ich kann’s nicht erklären …«
Cornelius war kein Mann der großen Worte, aber ich wußte, was er damit meinte. Ich fühlte mich ja tatsächlich mittlerweile wie ein anderer Mensch. Dennoch wehrte ich verlegen ab. »Ach was, ich bin immer noch die gleiche! Laß uns noch eine Runde machen. Bevor ich mich darum kümmere, was aus meinem Schuhstand geworden ist, habe ich wahrlich eine kleine Abwechslung verdient!« Herausfordernd gab ich ihm einen kleinen Schubser. Ohne weiter darüber nachzudenken, hakte ich mich bei Cornelius unter. Sollten die anderen doch denken, was sie wollten! Nachdem Cornelius sich so ehrenhaft für Weiland eingesetzt hatte, wollte ich ihm eine kleine Freude bereiten. Wie gut es tat, wieder einmal den kräftigen Arm eines Mannes zu spüren, und sei es auch nur der des eigenen Schwagers! Die Verbote waren schon fast schon wieder vergessen, als wir uns auf den Weg
Weitere Kostenlose Bücher