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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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hierher vor den Altar geflüchtet.«
    »Die kenn ich«, erwiderte Afra, nachdem sie sich ein Stück hinuntergebückt hatte. »Das ist die junge Helferin, die vom Judendoktor.«
    Sara tauchte auf aus einem schwarzen Abgrund. Sie versuchte, die Augen zu öffnen, aber sie waren zugeschwollen. Sie konnte nichts sagen, alles war Schmerz, stechender, pochender, mörderischer Schmerz. Nur hören konnte sie. Da redete jemand.
    »Was machen wir denn jetzt?«, fragte Afra betroffen.
    Ihr Mann zuckte mit den Achseln. »Am besten, wir gehen. Die findet später schon einer.«
    »Und bringt sie dann um wie die anderen, ja freilich!«
    Der Franz kratzte sich am Bart und sagte eine Zeitlang nichts. Sara wimmerte leise. Afra rieb sich die Augen und seufzte, dann stieß sie ihren Mann an. »Wir nehmen das arme Mensch mit, Franzl.«
    »Bist du närrisch? Wenn das einer rausfindet … «
    »Und wenn unser Adam irgendwo da draußen liegt, und keiner hilft ihm?« Sie schüttelte den Kopf. »Wie können wir hergehen und den heiligen Christophorus um Hilfe bitten, wenn wir selber nicht mitleidig mit denen sind, die uns brauchen. Auch wenn’s Juden sind!«
    Er hörte sich die Überlegungen seiner Frau mit hängenden Schultern an und nickte dann schuldbewusst. »Hast ja recht, Weib. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, sagt der Herr.« Mit plötzlicher Entschlossenheit zog er seinen Umhang aus. »Man müsst sich ja der Sünd' schämen!«
    Der Franz legte die halb Bewußtlose auf seinen Mantel und wickelte sie mit bedächtigen Handgriffen ein, damit niemand etwas in dem Bündel erkennen konnte. Sara stöhnte vor Schmerz, als er sie aufhob und auf seinen kräftigen Armen zur Seitenpforte trug. Seine Frau ging hinter ihm. Bevor sie die Kirche verließ, drehte sie sich noch einmal zu dem goldgerahmten Heiligenbild um, unter dem die Kerze hell flackerte. »Schau, Christophorus, ich bitt dich, tu an unserm Sohn, was wir diesem armen Weib Gutes angedeihen lassen.«
    Dann stahlen sich die beiden mit ihrer Last durch die morgendlichen Gassen heim, ohne dass jemand Verdacht schöpfte.

Sara
    Wie viele Tage ich dalag, ohne wirklich aus meiner Ohnmacht zu erwachen, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich nur an den ständigen Schmerz, der überall in meinem Körper tobte, an dumpfe, wabernde Schwärze und an wilden Schwindel. An Berührungen, die so wehtaten, dass ich schrie. Afra hatte mich in einen Alkoven hinter dem großen Kachelofen gelegt, wo es dunkel und warm war. Später erzählte sie mir, an meinem Körper sei keine Stelle gewesen, die nicht grün und blau gefärbt war. Zu allem Überfluss begann ich zu fiebern; zwei Nächte lang saß sie an meinem Bett und machte mir kalte Wickel, bis ich über den Berg war. Während dieser ganzen Zeit konnte ich keinen klaren Gedanken fassen, schwebte wie in einer Nebelwolke. Als sich dieser Dämmerzustand irgendwann zu lichten begann, hatte ich jede Erinnerung daran verloren, was mit mir geschehen war. Erst ganz langsam und in Bruchstücken kamen die Geschehnisse wieder in mein Bewusstsein. Es war wie das Erwachen aus einem Albtraum – und dann die schreckliche Erkenntnis, dass es eben kein Traum gewesen war.
    Ich spürte mit jedem schmerzenden Atemzug, dass etliche meiner Rippen gebrochen waren. Meine Nase war – das sah ich in einem Spiegel, den mir die Afra gebracht hatte, kaum dass ich wieder aus den Augen sehen konnte – zu fast doppelter Größe angeschwollen, die Lippen aufgeplatzt. Am Kopf hatte ich drei Platzwunden, die meine Wohltäterin mit ihrem Hausfrauennähzeug schön genäht hatte, während ich bewusstlos war. Meinen linken Arm konnte ich nicht drehen, ich befürchtete einen Bruch des Unterarmknochens, aber soweit ich erkennen konnte, war der Arm gerade. Der linke Mittelfinger war ebenfalls gebrochen und notdürftig mit zwei Stöckchen geschient. Er sollte nie mehr richtig heilen, das vorderste Glied ist seitdem ein wenig schräg abgeknickt und erinnert mich stets an das Glück, das ich mitten im furchtbarsten Unglück hatte.
    Das sehe ich heute so – damals wollte ich am liebsten sterben. Ich dachte an all diejenigen, die tot auf den Straßen oder in ihren Häusern geblieben waren, Männer, Frauen, Kinder, und ich wollte bei ihnen sein. Warum hatte ich überlebt, und sie nicht? Ich dachte an Jettl, die mir wie eine Großmutter gewesen war. Blind war ich gewesen, dass ich nie gesehen hatte, wie sehr sie ihren Herrn geliebt haben musste, so, wie eine Frau ihren Mann liebt. So sehr,

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