Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Fahrenden euch an Herrlichkeiten gebracht: Staunet über Satan, den tanzenden Bären! Über Rutliese, das klügste Schwein der Welt! Und über den Herzog von Schnuff, unseren singenden Hund! Sehet den stärksten Mann des Universums und ringt mit ihm, lasset euch von Zenobia der Wahrsagerin euer Glück weisen! Schauet die besten Joculatores Arabiens, den feuerspeienden Schnuck, das scheue Schlangenmädchen aus dem fernen Bengalesien. Und ersterbt vor Grauen beim Anblick des Elefantenmenschen Horribilus, des menschlichen Ungeheuers gradwegs aus dem Höllenschlund! Wer ein Leiden hat, den wird der weitbekannte Medicus Koromander davon befreien, ein Heiler, der seinesgleichen sucht! Auch ziehet er die faulen Zähn und vertreibet Läus und Wanzen! Sehet das Schauspiel von dem Prinzen und den drei nackenden Göttinnen, das schon den König selbst entzückt hat! Entscheidet den Streit zwischen Frau Tugend und Frau Wollust um die rechte Lieb! Staunt über die Kampfeskünste des Ritters Ezzelin und messt euch mit ihm beim Fechten! Kommt, kommt herbei und schaut die Wunder, die wir euch zeigen!«
Ciarans Blick fiel derweil auf Sara, die immer noch ganz verloren auf den Brunnenstufen kauerte. Er sah, wie traurig sie war und kam näher. »Was hast du?«, fragte er. »Du siehst aus wie drei Tage Gewitter!«
Aus ihrer Kehle kam ein kleiner Schluchzer. »Ach Ciaran, ich habe meine Familie nicht gefunden. Und jetzt weiß ich gar nicht mehr, was ich tun soll.«
Er setzte sich neben sie. »Du Arme«, tröstete er mit sanfter Stimme, »das ist schlimm. Ich weiß, wie es ist, wenn man ganz alleine ist. Aber du darfst nicht verzweifelt sein. Geh heut Abend zu Janka, sie kann in solchen Dingen helfen. Ihre Karten geben immer guten Rat.«
Sara seufzte. »Vielleicht tue ich das sogar«, antwortete sie ohne große Hoffnung.
Abends brannten auf dem Marktplatz die Feuer. Die Fahrenden waren mit den Vorbereitungen für die kommende Vorstellung beschäftigt, besserten Kostüme aus, übten und bastelten an irgendwelchen Gerätschaften. Allein Janka und Gutlind waren nicht dabei. Die Dicke hatte den roten Wagen am Rand des Platzes aufgestellt, um sich ihren Männerbesuchen zu widmen, und Janka hatte ebenfalls zu tun. Vor ihrem kleinen Zelt, dessen Eingang von zwei lodernden Kienspänen beleuchtet wurde, standen die Leute Schlange.
Sara wartete, bis niemand mehr kam, dann trat sie schüchtern ins Innere. Beinahe hätte sie Janka nicht wiedererkannt: Pirlos Frau trug eine Art Turban mit nachtblauen Fransen und ein scharlachfarbenes, wallendes Gewand, in das bunte Steine eingenäht waren. Die Lider hatte sie mit Kohle umrandet, so dass ihre hellgrauen Augen etwas Stechendes, Hypnotisierendes bekamen. Silberne Ketten hingen ihr von Hals und Handgelenken; bei jeder kleinen Bewegung klirrte es leise. Vor ihr stand ein kleines, kaum eine Elle hohes Tischchen mit einem Stapel Spielkarten und einer brennenden Kerze. Von einer Räucherschale stieg ein betäubend süßlicher Duft auf, der Sara an die Kräuter der Besamimbüchse erinnerte.
»Ich hab mir schon gedacht, dass du zu Zenobia kommst«, sagte Janka mit ihrer leicht heiser klingenden Stimme. »Setz dich.«
Sara ließ sich folgsam auf einem kleinen Teppich nieder; Janka mischte indes die Karten und fächerte sie mit großer Geschicklichkeit auf dem Tischchen aus. »Zieh sieben«, sagte sie. Dann legte sie das gewählte Blatt aus. Mit skeptischem Blick begutachtete sie ihr Werk, rückte hier eine Karte gerade, legte dort eine zurecht.
»Das ist das Hufeisen«, erklärte sie, »eine uralte Art, die Karten zu legen. Ich hab’s schon als Kind von den Zigeunern gelernt. Das Hufeisen zeigt, woher du kommst und wohin du gehst.«
Dann wurden ihre Augen klein. »Du bist traurig«, sagte sie leise. »Und du hast Angst. Angst vor etwas oder jemandem. Dieses Gefühl liegt auf deinem Leben wie eine Last, aber du bist auch stark, du kannst es tragen – das sagt mir die ›Priesterin‹. Irgendetwas Schlimmes ist dir geschehen, lass gut sein, du brauchst es mir nicht zu sagen, ich sehe den ›Mond‹ in deiner Vergangenheit. Das ist die Karte der Bedrohung, der Dunkelheit.«
Janka ordnete die Karten auf dem Tisch erneut. »Schau, schau, du hast einen Schatz verloren, hm? Das müssen keine Reichtümer sein, ich denke, die Karte mit dem Kelch meint wohl deine Familie. Und ich sehe einen Tod. Jemand ist gestorben. Deine Eltern – nein, vielleicht nicht so nah … «
»Mein Onkel«, warf Sara
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