Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
ein.
»Ah.« Janka nickte wissend. »Jetzt gib mir deine Hände.«
Sara spürte warme, streichelnde Finger. Ganz still hielt sie, und Janka nahm mit geschlossenen Augen etwas von ihr auf, etwas, das sich nicht beschreiben ließ und für das es keinen Namen gab. »Du hast eine besondere Gabe«, murmelte sie. »Es ist eine gute Kraft, für dich und andere. Ich sehe Menschen, die zu dir kommen.«
»Ich bin Ärztin«, lächelte Sara. »Das habe ich von meinem Onkel gelernt.«
»Aber du hast auch ein Geheimnis«, sagte Janka. »Da ist etwas Dunkles, etwas, das du niemandem sagst. Ja, natürlich – da ist der ›Eremit‹, man nennt ihn auch das ›große Arkanum‹, er steht für etwas Verborgenes in dir. Oh, nein, du musst es mir nicht verraten!« Sie winkte ab. »Wir alle hier bei den Fahrenden haben solche Geheimnisse, jeder von uns. Frage nie jemanden nach seiner Vergangenheit, das ist eine ungebrochene Regel. Entweder man erzählt sie dir freiwillig, oder nie. Die Zeit wird kommen … «
Sie ließ Saras Hände los und mischte die Karten neu. Dann ließ sie Sara vier davon ziehen und legte sie zum Kreuz aus.
»Ein Schatten liegt auf deinem Leben, etwas Böses, das dich verfolgt. Das ist deine Angst. Aber du hast auch Glück, hier ist der ›Wagen‹, eine der guten Karten! Er sagt: Da ist ein Weg, der sich dir bietet. Du solltest ihn gehen, denn er zieht dich ins Licht. Fahr los, auf und davon, da ist ein Ziel! Und darüber die ›Liebenden‹! Dir steht eine Herzensentscheidung bevor. Zuletzt sieh, das ›Große Rad des Schicksals‹! Es steht im Hier und Jetzt, das bedeutet, du befindest dich in einer Zeit der Veränderung, du tust etwas Neues. Zieh noch einmal vier Karten.«
Sara wählte aus, und dann sah sie, wie sich Jankas Gesicht verdunkelte. »Was siehst du?«, fragte sie ängstlich.
Die Wahrsagerin schüttelte den Kopf. »Es ist schwer zu erkennen, Kind. Hier liegt die ›Welt‹ – sie sagt, du wirst einmal den Platz erreichen, an den du gehörst. Und da haben wir wieder die ›Liebenden‹. Ich sehe Menschen, die dir im Leben etwas bedeuten, in der Zukunft und in der Vergangenheit … Es ist nicht nur ein Mann, es sind mehrere, vielleicht noch eine Frau. Neben ihnen liegt noch einmal der ›Mond‹ – nicht über allen, aber über einem oder mehreren von ihnen schwebt die Finsternis. Zieh noch ein letztes Mal.«
Und Sara zog. Janka nahm die Karte verdeckt, dann drehte sie sie um und legte sie in die Mitte des Kreuzes. Der ›Turm‹. Etwas wie Erschrecken blitzte in den dunkel geschminkten Augen der Wahrsagerin auf. Dann fegte sie mit der Hand über die Karten und brachte sie durcheinander.
»Was hast du gesehen, Janka?« Sara spürte, dass etwas nicht in Ordnung war.
Die Alte hob die Hand. »Es ist nichts, nichts von Bedeutung. Zieh noch ein allerletztes Mal.«
Und Sara zog. Wieder der ›Turm‹! Mit zitternden Fingern deckte sie die nächste Karte auf, und der Schreck fuhr ihr kalt in die Glieder. Es war der ›Tod‹.
War Janka kurz zusammengezuckt? Aber nein, sie lächelte ja. »Das ist gut«, sagte die Alte. »Sieh hier den ›Turm‹, er steht für jemanden, der dir Böses will. Der ›Tod‹ aber zeigt an, dass er sein Ziel nicht erreichen wird.«
Sara atmete auf. Sie dachte an Chajim.
»Ich bin müde«, meinte Janka schließlich. »Geh jetzt, wir reden morgen noch einmal.«
Nachdem Sara das Zelt verlassen hatte, saß die Wahrsagerin noch lange über ihren Karten. Sie wusste, sie hatte gelogen. Manchmal war es nicht gut, den Menschen die Wahrheit zu sagen. Was sie Sara erzählt hatte, war die eine Auslegung der Konstellation ›Turm‹ und ›Tod‹ gewesen. Doch es gab noch eine zweite, wichtigere. Janka rieb sich die müden Augen. Es half nichts, man musste annehmen, was die Karten einem sagten. Und es musste ausgesprochen sein.
»Du wirst einmal dem Menschen den Tod bringen, der dich am meisten begehrt.«
Sie lauschte dem düsteren Klang ihrer Stimme in dem leeren Zelt nach.
Dann löschte sie die Kerze.
Sara
Ich wußte nicht recht, was ich von alledem halten sollte. Da saß mir diese fremde Frau gegenüber und erzählte Dinge über mich und mein Leben, Dinge, die sie nicht wissen konnte. Tief stand ich unter dem Eindruck ihrer Worte. Und je länger ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir klar: Ich glaubte ihr. Ich hatte ihre Hände gefühlt und ihren Blick in mich aufgenommen, und ich wusste, sie war kein Scharlatan. Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich
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