Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
fremde Land gebracht hatten, das er jetzt bereiste. Nach dem Überfall in den Niederlanden, der seine Gefährten das Leben gekostet hatte, war er zuerst ziellos umhergezogen, innerlich zerrissen vor Trauer und Wut. Hätte er nach England oder Irland zurückkehren sollen? Er konnte sich nicht dazu entschließen, denn er gehörte nirgendwo mehr hin. Sorgfältig hatte er die Wyclifsche Handschrift wieder in seiner reparierten Harfe versteckt, ohne recht zu wissen, warum. Denn er war entschlossen, den Plan, sie zu Jan Hus nach Böhmen zu bringen, nicht weiterzuverfolgen. Er hatte Angst vor den Schergen des Erzbischofs von Canterbury – warum, so fragte er sich, sollte er sein Leben aufs Spiel setzen für eine Sache, die letztlich nicht seine eigene war? Nur durch einen glücklichen Zufall war er davongekommen, eine Fügung, die er seiner frisch erwachten Liebe zu den Frauen verdankte. Nun wollte er frei sein, die schönen Dinge genießen, seinen eigenen Weg finden. Und als er dann hoch im Norden auf Pirlos Gruppe traf, fühlte er sich schnell bei den Spielleuten heimisch. Endlich durfte er nach Herzenslust das tun, was er am besten konnte: Singen, Musizieren, Erzählen. Das bin ich, dachte er, endlich. In jedem Dorf ließ er ein Liebchen zurück, kostete bis zur Neige aus, was ihm Kirche und Religion so lange versagt hatten. Irgendwann vergaß er, dass er das Vermächtnis des großen Wyclif noch immer in seiner Harfe trug. Er war Ciaran, der Troubadour.
Als er begann, sich zu langweilen, stand er auf und schlenderte zum See hinunter. Am steinigen Ufer sammelte er ein paar flache Kiesel und ließ sie lustig auf der Wasseroberfläche hüpfen, ein, zwei, drei, vier, fünf Mal. Ein Schwanenpärchen suchte beleidigt das Weite. In einiger Entfernung standen Bäume und Büsche, und Ciaran lenkte seine Schritte dorthin. Er mochte Bäume gern, strich gern über ihre rissige Rinde – vielleicht gerade weil es in seiner Heimat so wenige davon gab. Das Laub prangte schon in den herrlichsten Herbstfarben; zwischen den Blättern huschte ein Eichhörnchen umher und flitzte schließlich an einem der Stämme herunter.
Und da war noch eine Bewegung, am Ufer. Es plätscherte leise. Langsam kam Ciaran näher, hielt unter einem Baum inne und sah neugierig zum See hin. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus – der Anblick, der sich ihm bot, war gar zu lieblich.
Es war Sara, die bis zu den Knien im Wasser stand, nackt wie Gott sie geschaffen hatte. Er sah nur ihren Rücken, den sanften Bogen ihrer Schultern, die weich geschwungenen Hüften und das Schönste: Ein Paar herrlich birnenförmiger Hinterbacken, prall und rund über schlanken Beinen. Ihre Haut war nicht so weiß wie die der meisten Frauen, die er gekannt hatte, eher golden getönt, als seien es die Strahlen der Abendsonne, die sie beschienen und nicht das helle Mittagslicht.
Sara watete mit vorsichtigen Schritten in den See hinein. Das Wasser war kalt, doch das kümmerte sie nicht. Wie lange war es her gewesen, dass sie zum letzten Mal in lebendigem Nass untergetaucht war? München, dachte sie, eine halbe Ewigkeit. Die Christen wuschen sich meist in Trögen und Eimern, und so hatte sie es auch lange halten müssen. Es ging ihnen ja nicht um die innere Reinigung, sondern nur darum, einigermaßen sauber zu sein. Aber sie, Sara, konnte nun endlich auch alles Unreine in ihrem Innern abwaschen. Mit einem Lächeln auf den Lippen formte sie einen Becher aus ihren Händen, schöpfte das klare Seewasser und trank. Sie ließ das Wasser durch ihre Finger rinnen, während sie immer weiter in den See hinauslief. Und dann tauchte sie unter, ganz, bis auch nicht ein Stückchen Haut oder eine Haarspitze mehr über dem Wasser waren. Es tat so gut!
Später, wieder am Ufer, rubbelte sie sich mit einem Laken ab, das sie mitgebracht hatte, und schlüpfte rasch wieder in ihre Kleider. Dann lief sie mit tropfenden Haaren zum Lager zurück.
Ciaran sah ihr nach, bis sie hinter dem ersten Wagen verschwand. Mit Macht waren ihm die Säfte in die Lenden geschossen. Wie hatte er bisher nur nicht bemerken können, dass sie so schön war! Er dachte an die vielen Zeichnungen von nackten Frauenkörpern, die er unter den Miniatur-Buchmalereien der Clonmacnoiser Mönche gesehen hatte, rosige Haut auf goldenem Untergrund, Gliedmaßen, liebend umschlungen von grünen Ranken und Ornamenten. Und er wusste, könnte er malen, dann würde er diese Frau aufs Pergament bringen, so, wie sie da gestanden
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