Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
standen auf der hölzernen Predigerbrücke, der einzigen Verbindung, die von der Stadt zum Dominikanerkloster führte, und blickten auf die alte Klosteranlage. Ciarans Mut sank. Das Kloster war ein großer, vierflügeliger Komplex mit geräumigem Innenhof, den man gleich an die Kirche angebaut hatte. Wie sollte man da herausfinden, wo Hus gefangengehalten wurde, wie hineinkommen? Dicke Steinmauern, vergitterte Fenster, Wachen vor den Toren – es war hoffnungslos. »Wie soll ich da jemals an Jan Hus herankommen?«, fragte Ciaran mit niedergeschlagener Miene. »Schließlich kann ich nicht einfach mit meiner Harfe da hineinmarschieren und fragen, wo der Ketzer sitzt … «
Sara seufzte. »Stimmt. Aber vielleicht finden wir einen aus der Dienerschaft, der uns weiterhelfen kann … «
Zwei junge Frauen kamen plaudernd von der Stadtseite her auf die beiden zu. Eine trug einen großen Korb mit Eiern, die andere hatte in jeder Hand einen Zwiebelzopf und auf dem Rücken ein Netz mit Krautköpfen. Sara fasste sich ein Herz und zupfte die Eierträgerin am Ärmel. »Sagt, Jungfer, arbeitet Ihr hier im Kloster?«, fragte sie mit unschuldiger Miene.
»Wir sind Küchenmägde«, erwiderte die Angesprochene, »aber nur, solange das Konzil dauert. Da helfen wir aus, weil so viel zu tun ist.«
»Stimmt es, dass man diesen böhmischen Prediger hier gefangen hält? Wie heißt er noch gleich?«
»Ihr meint Jan Hus«, sagte die Magd mit den Zwiebelzöpfen bereitwillig. »Ja, der ist schon länger da. Wir haben ihn aber noch nicht gesehen. Er sitzt im Verlies.«
»Der arme Kerl«, meinte die andere. »In der Küche müssen wir für ihn Schonspeise kochen, weil er sonst nichts bei sich behält. Na, kein Wunder, dass er krank ist, sie haben ihn ja gleich neben die Latrine gesteckt. Da kommt den stärksten Mann das Kotzen an.«
»Wieso wollt Ihr das wissen?«, wandte sich die Eiermagd an Sara. Ihr Blick wurde plötzlich misstrauisch.
Sara winkte ab. »Nur so. Wir sind gerade angekommen und hören uns halt um.«
Die Mägde wandten sich zum Gehen, und Ciaran stieß wütend mit der Fußspitze ein Steinchen ins Wasser. »Mo sheacht mallacht!«, knurrte er.
»Ts, ts, ts, das klingt nach einem Fluch«, bemerkte Sara trocken.
Er lachte kurz auf. »Es war auch einer«, grinste er schief. »Aber fluchen hilft auch nichts. Komm, lass uns gehen.«
Sie schlugen den Weg zum Obermarkt ein, wo Pirlo neben Jankas Zelt seine Späße zum Besten gab und Schnuck sein Seil zwischen dem Malhaus und dem Haus zum Barbarossa gespannt hatte. Doch schon an der Westecke des Münsterplatzes, wo die Straße rechts zum Schottentor führte, kamen sie vor lauter Karren und Wagen nicht weiter. Die Leute redeten ganz aufgeregt durcheinander. Ciaran wandte sich an einen Pferdeknecht, der versuchte, seine tänzelnden Rösser zu beruhigen. »Was ist denn los?«, fragte er. »Geht’s nicht weiter?«
»Das kann man wohl sagen«, gab der Mann zornig zurück. »Diese Arschlöcher haben alle Tore dichtgemacht! Befehl des Königs.«
»Und warum?«
Der Fuhrmann spuckte aus. »Es heißt, der Papst wolle aus der Stadt fliehen!«
Sara
Ciaran ein Mann von Geblüt! Ich brauchte eine Zeitlang, um diese Neuigkeit zu verdauen. Er ein hoher Herr, ein Graf – ich ein Niemand. So war die Welt nicht geordnet, dass zwei Menschen solch unterschiedlichen Standes sich zusammentun konnten. Er spürte meine Befangenheit, ahnte meine Befürchtungen, und beruhigte mich. »Ich bin nur ein Fahrender wie die anderen auch«, sagte er lächelnd. »Meine Herkunft ist unwichtig. Ich kann nie mehr nach England zurück, mein Leben ist dies hier. Und wenn ich erst das Manuskript los bin, verbindet mich nichts mehr mit der Vergangenheit. Dann bin ich endgültig nur noch Ciaran, der Spielmann. Also denk nicht weiter darüber nach und gib mir lieber einen Kuss!«
Ich war froh, dass er es so leicht nahm und versprach ihm, sein Geheimnis zu bewahren. Aber bei seinem Vorhaben, Jan Hus dieses vermeintlich ketzerische Schriftstück zu übergeben, konnte ich ihm auch nicht helfen. Überhaupt konnte ich mir als Jüdin nur wenig vorstellen unter dem, was die Christen Ketzerei nannten. Oder Glaubenskampf. Oder Kirchenreform. Was ich verstand, war, dass viele der kirchlichen Würdenträger ein unwürdiges Leben führten. Dass sie zu Huren liefen, obwohl ihnen der fleischliche Umgang mit Frauen verboten war, dass sie sündigten und Verbrechen begingen, obwohl es ihnen die Bibel untersagte, dass sie Reichtümer
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