Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
in seinen Becher, als suche er darin etwas. »Sie ist … wie kann ich’s sagen … sie steht so hoch über mir … «
Es ging mit mir durch. »Du redest grad so, als sei es die Königin höchstselbst«, grinste ich und zwinkerte ihm zu.
»Und wenn?« Er sah mich an.
»Witzbold«, kicherte ich und bekam einen Schluckauf.
Er tat einen tiefen Atemzug. »Lass uns nicht weiter darüber reden, Sanna. Man muss die Liebe genießen, so lange und so gut es geht, oder? Manchmal ist es besser, fröhlich zu sein und nicht an morgen zu denken. Komm, gehn wir zu den Zigeunern hinüber, sie haben schon angefangen, zu spielen. Hoppla, fall nicht hin!«
Esma und ihre Familie hatten neue Freunde ins Lager mitgebracht, die aus dem fernen Spanien kamen. Es waren dunkelhäutige, wilde Gesellen, die eine fremdartige Musik spielten, einmal schwermütig und klagend, dann wieder voller Kraft und Schnelligkeit, Klänge wie aus einer anderen Welt. Ein stolzes Weib tanzte dazu, schön wie die Sünde, mit blauschwarzem Haar bis fast zu den Knien, und ein zweites, älter, mit scharfen Zügen und Hakennase, klatschte den Takt. Ezzo und ich lauschten den lockenden Klängen eine Zeitlang, ließen uns von dem wirbelnden Tanz verzaubern, dann wurde mir schlecht. Er brachte mich zu meinem Wagen, wo ich sofort auf den Bettsack fiel und mir schwor, nie wieder zu viel Wein zu trinken.
Ein paar Tage später stand er plötzlich früh am Morgen vor meinem Wagen. Offensichtlich wollte er mit mir reden, bevor der erste Kranke zur Behandlung kam. »Sanna«, sagte er ernst, »ich brauche deine Hilfe.«
Ich bat ihn herein. »Erzähl.«
Er druckste ein bisschen herum. »Deine Operation mit dem Schlafschwamm – sie war ja wochenlang Stadtgespräch … Ich habe mich gefragt, ob man mit solch einem Schlafschwamm auch einen erwachsenen, gesunden Mann betäuben kann … «
»Natürlich. Es kommt auf die Menge der Arznei an, mit der man den Schwamm tränkt.« Ich war mir nicht sicher, worauf er hinauswollte.
»Geht das auch, wenn dieser Mann … ich meine, gegen den Willen desjenigen, den man betäuben will?«
Ich runzelte die Stirn. Was hatte er vor? »Nun ja, ich denke schon. Man muss den Menschen eben so lange festhalten, bis er genug von den Dämpfen aus dem Schwamm eingeatmet hat.«
Ezzo blieb eine Weile stumm und spielte mit einem Kräutersträußchen. Dann rückte er mit seinem Anliegen heraus. »Kannst du mir ein paar solcher Schlafschwämme geben?«
»Mein Gott, Ezzo, was willst du damit anfangen? Ein Schlafschwamm ist nicht ungefährlich. Es kann sein, dass einer nicht mehr aufwacht … «
»Ein Kampf mit Schwert oder Messer ist auch nicht ungefährlich«, entgegnete Ezzo.
»Willst du mir nicht sagen, was du vorhast?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht, Sanna. Ich kann dich nur bitten, mir zu helfen. Es ist sehr wichtig.«
Er will diese Frau entführen, dachte ich, und war schon ein wenig gekränkt, dass er mir nicht vertraute. Und was, wenn die Obrigkeit davon erfuhr? Aber dann gab ich nach. Ezzo bat mich um Hilfe, und ich wollte sie ihm nicht verwehren. Seufzend hob ich die Hände. »Wann brauchst du die Schwämme?«
»Ich weiß noch nicht. Reicht es, wenn ich dir einen Tag vorher Bescheid gebe?«
»Ja. Es dauert nicht lang, die Mischung herzustellen, und die Arzneien habe ich hier. Aber du darfst sie nicht zu lange unter die Nase drücken – auf keinen Fall mehr als zwanzig Herzschläge lang. Sonst geht der Schlaf in den Tod über. Du wirst merken, wenn die Ohnmacht einsetzt, dann musst du sofort aufhören.«
»Wie lange wird diese Ohnmacht dauern?«
Ich zuckte die Schultern. »Das kann man nie genau sagen. Vielleicht eine Stunde, vielleicht nur halb so lang.«
»Gut.« Er nahm meine Hand. Seine Finger waren warm, und sein Griff kräftig. »Dank dir, Sanna. Das werde ich dir nicht vergessen.«
Er ließ mich viel zu schnell los und ging. Während ich ihm nachsah, fühlte ich mich plötzlich allein und traurig.
Lange konnte ich nicht über Ezzos merkwürdiges Ansinnen nachdenken, denn kaum war er fort, klopfte es an die Wand des Wagens. Draußen stand ein vornehm gekleideter Mann, der ein eigentümlich eingefärbtes Deutsch sprach. Er war dick und stattlich, mit lockigem, halblangem Haar und wulstigen Lippen. Sein auffälligstes Merkmal war jedoch das rechte Auge, dessen Lid völlig geschlossen war. Er stellte sich als Oswald von Wolkenstein vor, Ritter aus Tirol, Gefolgsmann des Königs, Dichter und Musikant.
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