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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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anhäuften auf Kosten der einfachen Leute. Sie verlangten von ihren Untertanen christlichen Gehorsam, aber selbst hielten sie sich nicht an das Wort Gottes. Wenn Jan Hus diese Zustände anprangerte, war mir das begreiflich. Man stelle sich vor, ein Rabbi würde gegen alle Gesetze verstoßen, die Talmud und Thora vorschrieben. Keiner in der Gemeinde würde ihn mehr haben wollen.
    Die Kirche empfand es außerdem als Angriff auf ihre Autorität, so erzählte mir Ciaran, dass der böhmische Magister in der Volkssprache predigte und nicht auf Lateinisch. Er wollte, dass die Leute begriffen, worum es im Gottesdienst ging. Nun, auch bei uns Juden wurde in der Synagoge auf Hebräisch aus der Thora gelesen, aber die meisten von uns verstanden so viel von der alten Sprache, dass sie dem Inhalt folgen konnten. Die einfachen Christen aber sprachen offensichtlich gar kein Latein und fühlten sich so ausgeschlossen. Ich fand es merkwürdig, dass es der Kirche so wichtig war, diesen Zustand beizubehalten. Wollten die Bischöfe denn nicht, dass die Menschen das Gotteswort verstanden?
    Und dann gab es etwas, was mir als Jüdin völlig fremd war: Das, was die Christen das heilige Abendmahl nannten. Oh, ich wusste, da gab es die Hostie, ein kleines Stückchen brotähnliches Gebäck, das man beim Gottesdienst aß. Und sobald man es aß, verwandelte es sich in den Leib Christi. Eine absonderliche Vorstellung. Die Christen verspeisten also einen Teil vom Körper ihres Gottes. Aber das genügte den Anhängern der neuen Lehre des Jan Hus nicht. Sie forderten, dass jeder Gottesdienstteilnehmer, genau wie der Priester auch, einen Schluck Wein aus einem Kelch trinken solle. Dieser Schluck Wein, so nahmen sie an, würde sich dann in Jesu Blut verwandeln. Mir war nicht klar, warum die Priester den Menschen diesen Wunsch verweigerten, aber sicherlich muss man Christ sein, um so etwas zu verstehen. Was ich zumindest verstand, war, dass nicht nur die höchsten Würdenträger, sondern sogar der Papst selber von Jan Hus angegriffen wurde. Er sprach ihnen das Recht auf ihre Ämter ab, weil sie sündig lebten. Dagegen wehrte sich die Kirche mit aller Macht. Und Ciaran erklärte mir, dass nun dieser Jan Hus nichts völlig Neues lehrte, sondern genau das, was vor ihm schon der Engländer Wyclif erdacht und gefordert hatte. Nur, dass es inzwischen nicht mehr nur einen Papst gab, sondern derer drei. Jeder hatte seine Anhängerschaft, jeder fühlte sich als der einzig wahre Stellvertreter Gottes. Und König Sigismund wollte sie alle absetzen, einen Erfolg der neuen Lehre verhindern und damit seine eigene Macht festigen. Das war der Grund, warum er das Konzil nach Konstanz einberufen hatte.
    Die ganze Lage schien mir schwierig, und je länger ich darüber nachdachte, desto verzwickter und undurchsichtiger wurde sie. Dabei hatte ich gar nicht viel Zeit, mich mit solchen Überlegungen zu befassen, denn die Kranken strömten von früh bis spät zu meinem Wagen. Ich stach den Star, ich spaltete Furunkel, ich verschrieb Mittel gegen Läuse und Flöhe, ich nähte Platzwunden und Messerstiche, denn es gab jede Nacht irgendwo Raufhändel. Einem kleinen Jungen nähte ich ein halb abgerissenes Ohr wieder an, eine zweite Frau kam zu mir, der ich eine Brust wegschnitt. Dann waren da die üblichen Winterkrankheiten: Husten, Fieber, Ohrenschmerzen, der Rotz und das Halsweh, das Reißen und der Blasenschmerz. Ja, und dann kamen auch noch täglich Männer zu mir, die mir verlegen ihr Gemächt präsentierten und über Jucken, Brennen, Pusteln und schmerzhafte kleine Geschwüre klagten. Die meisten Ärzte behandeln diese Symptome, mit denen man sich vermutlich beim Beilager ansteckt, indem sie die empfindliche Eichel mit Bimsstein traktieren, was alles nur noch schlimmer macht, aber von der arabischen Medizin her wissen wir Juden, dass gegen diese Krankheit kein Kraut gewachsen ist. Man kann nur mit Salben das Brennen und Jucken lindern, das ist alles. Dieselbe Krankheit hatten auch viele Frauen, die zu mir kamen; auch sie konnte ich nicht heilen, nur ihr Ungemach lindern. Die meisten von ihnen waren Hübschlerinnen und »Fensterhennen«, wie sich diejenigen nannten, die sich in den Fenstern ihrer Schlafkammern barbrüstig zeigten, um Männer anzulocken.
    Fast alle, die mit geschlechtlichen Krankheiten zu mir kamen, litten außerdem unter der Sorte Läuse, die man bald überall scherzhaft als »Liebeskäfer« bezeichnete. Bei manchen Leuten war es so schlimm, dass die Läuse

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