Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
Manuskript diesem Jan Hus übergeben.« Sara fällte ihr Urteil schnell und sicher. »Sonst macht es dich unglücklich.«
Er griff über die Tischplatte nach ihrer Hand. »Ich weiß nicht«, murmelte er niedergeschlagen. »Ist die Sache der Reformer es wirklich wert, unterstützt zu werden?« Gedankenverloren streichelte er ihre Finger. »Ich habe den Papst gesehen, weißt du, ganz zu Anfang, als wir hierher gekommen sind. Nur kurz, nur von fern, aber allein sein Anblick ließ mir vor Ehrfurcht die Knie weich werden. Und gegen diesen Mann und sein heiliges Amt soll ich Partei ergreifen, indem ich Hus unterstütze? O Gott, ich weiß einfach nicht, was ich tun soll.«
Sara strich Ciaran liebevoll durchs Haar. »Es geht doch gar nicht darum, wessen Sache du unterstützt. Es geht darum, dich von einer Last zu befreien. Du hattest eine Aufgabe zu erfüllen, oder nicht? Deine Eltern haben dir noch im Tod die Übergabe dieser Schrift übertragen. So hast du’s zumindest gerade erzählt.« Sie seufzte. »Ich glaube, dass du nicht glücklich würdest, wenn du ihren letzten Willen missachtest, jetzt, wo du die Gelegenheit dazu hast, ihrem Wunsch nachzukommen. Du hättest auf ewig ein schlechtes Gewissen.«
Ciaran atmete tief durch. Ja, sie hatte recht. Egal, wie seine eigene Meinung im Glaubensstreit war – und er hatte nicht einmal eine, schwankte zwischen dem Althergebrachten und dem Neuen –, er musste seinen Eltern diesen letzten Dienst erweisen. Erst dann konnte er wirklich frei von seiner Vergangenheit sein und unbeschwert leben. »Also gut«, sagte er und fühlte sich auf einmal erleichtert. »Ich will herausfinden, wo dieser Hus sich derzeit aufhält. Man hört ja, er liege irgendwo in der Stadt gefangen. Und dann werde ich Wyclifs Vermächtnis in seine Hände geben. Was er dann damit tut, ist seine Sache.« Er drückte Sara die Hand. »Du bist mein guter Stern, Liebes. Dank dir von Herzen für deinen Rat.«
Gleich am nächsten Tag zog Ciaran Erkundigungen ein. Der böhmische Magister, so erzählte man ihm, sei bereits seit Anfang November in der Stadt. Anfangs habe er bei der rechtschaffenen Witwe Fida Pfister logiert, im Haus zur roten Kanne in der Paulsgasse. Und natürlich habe er gepredigt, in einer Herberge, wo sich täglich eine große Menschenmenge um ihn versammelt hatte. Ohne jede Zurückhaltung habe er seine ketzerischen Ansichten verbreitet. Gerade diejenigen hatte er angegriffen, die nun zuhauf in der Stadt waren, die Mönche und Priester, die studierten Theologen, die Bischöfe, ja sogar den Papst. Herabsteigen sollten sie von ihren Thronen, wenn sie in Sünde lebten. Arm sollten sie sein wie Jesus. Kein Recht hätten sie, ihr Amt auszuüben, weil sie sich der Hurerei, Geldgier und Völlerei hingaben. Nun, die hohen kirchlichen Würdenträger hatten diesem Treiben nicht lange zugeschaut. Schon nach drei Wochen hatte man Hus verhaftet.
Genaueres erfuhr Ciaran von Mitgliedern der böhmischen Gesandtschaft selbst. Er hatte herausbekommen, dass sich die Böhmen gern in einer ziemlich verrufenen Schänke in der Niederburg trafen, dem Stadtviertel der armen Weber zwischen Münster und Rhein. Die Wirtschaft hieß »Zur gelben Gans«, was wohl ausschlaggebend für die Wahl der Böhmen gewesen war – »Hus« bedeutete auf deutsch »Gans«. Die Taverne lag gleich hinter dem Haus zum Blaufuß, und noch am selben Abend ging Ciaran hin, die Harfe unter dem Arm.
Drinnen war es verräuchert und stickig. Der Boden war mit altem Stroh bedeckt, das dringend hätte ausgewechselt werden müssen, so faulig stank es. In der Mitte des Raumes befand sich eine riesige schwarzgefärbte Esse, darunter prasselte ein Feuer. In einem gusseisernen Topf blubberte Fischsuppe. Die Gäste hockten auf roh zurechtgezimmerten Bänken und Stühlen, löffelten ihren Eintopf, redeten und tranken. Als Ciaran anfing zu spielen, hoben sich die Köpfe, und manche der Männer klatschten Beifall. Nach dem dritten Lied brachte ihm einer einen Becher Wein und klopfte ihm auf die Schulter, ein anderer ließ ihm Brot und Käse reichen, und so kam er bald mit den Böhmen ins Gespräch – fast alle waren des Deutschen noch besser mächtig als er. Sie unterhielten sich über dies und das, und irgendwann kamen sie auf das unvermeidliche Thema der Glaubensstreitigkeiten. »Man hört, euer Landsmann Hus sei verhaftet worden«, begann Ciaran vorsichtig. »Ist das denn rechtens?«
»Teufel nochmal!« Einer der Böhmen, ein hitzköpfiger Spitzbart mit
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