Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
so, dass vor der Hochzeit das Haar fallen musste, die Halacha verlangte es. Dafür bekam Sara, die nun mit ihren kaum mehr fingerlangen Locken fast wie ein Junge aussah, eine wunderhübsche bestickte Brauthaube, verziert mit angenähten kleinen Perlenschnüren und roten Bändern. Von nun an würde sie ihr Haar regelmäßig schneiden und nie mehr ohne Kopfbedeckung gehen.
Dann wurde sie eingekleidet in das rohweiße Brautgewand, das schon so lange fertig genäht war und in der Truhe gewartet hatte. Fremd kam sie sich so vor, anders, ungewohnt. Aber auch wunderschön. Das muss wohl so sein, dachte sie, wenn man den Schritt in ein neues Leben tut. Ein Leben als Ehefrau und Mutter im Haus des Mannes, nicht mehr als Tochter im Haus der Eltern. Aber viel Zeit hatte sie nicht zum Nachdenken, denn schon wurde sie zur Tür hinausgeführt.
Im Garten der Synagoge hatte sich derweil die Hochzeitsgesellschaft versammelt – die ganze jüdische Gemeinde war gekommen, um mitzufeiern. Und da sah man auch schon die Chuppa, einen bunten, befransten Baldachin, dessen vier Ecken an gedrechselten Stäben befestigt waren. Vier hochgewachsene Männer hielten die Beschirmung hoch. Darunter wartete der Bräutigam im hellen Festmantel. Salo war blass um die Nase, er wirkte angespannt und trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Seine Miene hellte sich erst auf, als er sah, wie die Frauen seine Braut herbeiführten. Alles brach in bewundernde Rufe aus. Man tat kund, wie schön die Braut sei, wie tugendhaft und rein und wie gut sie zu ihrem zukünftigen Mann passte.
Siebenmal ging Sara um Salo und die Chuppa herum; sie musste aufpassen, dass sie sich nicht verzählte. Dann nahm sie ihren Platz neben ihm ein. Die beiden strahlten sich an, während der Rabbi den Hochzeitsgottesdienst abhielt. Am Ende seiner langen Rede mussten sie versprechen, einander zu ehren und zu dienen; dann verlas der Barnoss öffentlich die Ketuba, den Ehevertrag. Sara sah den Stolz und auch ein wenig die Trauer in den Augen ihrer Eltern, und eine kleine Träne bahnte sich ihren Weg, krabbelte an der Nase entlang bis zur Oberlippe. Sara fing sie verstohlen mit der Zungenspitze auf. Aber dann wurde sie schon wieder abgelenkt, denn Salo steckte ihr den schweren Hochzeitsring der Kölner Gemeinde an, einen riesigen massiven Goldreif, auf dem oben eine ganze Burg aus Silber thronte, die das Heilige Jerusalem darstellte. In den Ring war ein Spruch aus dem Buch des Propheten Jeremias eingraviert: »KOL SASSON WE KOL SIMCHA, KOL CHATAN WE KOL KALA« – Stimme des Jubels und Stimme der Freude, Stimme des Bräutigams und Stimme der Braut. Während Sara noch ganz versunken den Ring an ihrem Finger betrachtete, deklamierte der Rabbi die »Schewa Berachot«, die sieben Segenssprüche. Endlich reichte man dem Brautpaar einen gläsernen Pokal mit Wein, den beide sich teilten. Das war das Ende der Zeremonie, und Sara atmete erleichtert und glücklich auf. Jetzt fehlte nur noch eines: Salo trat vor und wog den Pokal in der Hand. Er visierte den Hochzeitsstein an, einen achtstrahligen Stern, der auf halber Höhe in die Mauer der Synagoge eingelassen war. An diesem Stein musste das Glas zerschellen, die Scherben galten als Symbol für die Sterblichkeit der Menschen, die man auch an frohen Festen bedenken sollte. Und es war ein glückbringendes Vorzeichen für die Ehe, wenn der Stein gut getroffen wurde und das Glas in tausend Splitter zersprang.
Salo holte aus und warf. Unter den Augen aller flog der Pokal weit am Hochzeitsstein vorbei und zerbarst mit lautem Klirren am Sims des Synagogenfensters.
Es war mit einem Mal totenstill. Das war kein gutes Omen. Sara wurde blass und griff Hilfe suchend nach Salos Hand. Nach schier endloser Zeit löste sich als Erster der Rabbi aus seiner Betroffenheit und schrie so laut er konnte »Masel tow!« – viel Glück! Alle fielen erleichtert in den Ruf ein.
Danach verließ die ganze Gesellschaft den Garten der Synagoge. Auf dem Weg hörte Sara die alte Schulamit raunen: »Oj, das wird nit gut mit den beiden!«
Sara
Wenn ich an die Zeit damals denke, wird mir heute noch das Herz schwer. Warum Salo und mir nur ein solch kurzes Glück vergönnt war, weiß nur Gott allein. Das schlecht geworfene Glas am Tag unserer Hochzeit weckte natürlich Befürchtungen in uns, aber gleich danach versicherten uns die Alten, dass so etwas schon oft vorgekommen sei und nichts bedeuten musste. So feierten wir noch fröhlich, tanzten und lachten, nahmen
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