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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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gewesen und kannte ihre Art, zu denken. Ich habe lange nicht gewagt, ihn zu fragen, warum er seinen Glauben erst verleugnet hatte und dann wieder zu ihm zurückgekehrt war. Jettl war es, die mir alles erzählte. »Er hat es aus Liebe zu seiner Frau getan«, sagte sie schlicht. »Es war ihr Herzenswunsch. Ida – so hieß sie – wollte eine Familie gründen, Kinder haben, wie das eben so ist. Oj, aber dann kam dieses schlimme Unglück. Sie fiel aus dem Fenster, und unten schlug sie genau auf dem steinernen Viehtrog auf. Jehuda hat sie erst Stunden später gefunden. Danach lebte sie nur noch ein paar Wochen. Sie waren kein Jahr verheiratet. Deinen Onkel hat das fast um den Verstand gebracht. Er glaubte wohl, ihr Tod sei Gottes Strafe für seinen Abfall von der jüdischen Religion gewesen, machte sich die bittersten Vorwürfe. Sobald sie begraben war, verließ er Regensburg, wo sie damals gelebt hatten, und ging auf Wanderschaft. Er bereiste viele Länder, und als er nach langen Jahren zurückkehrte, war er Arzt geworden. Und er war wieder Jude.«
    Nachdem ich diese Geschichte gehört hatte, empfand ich tiefes Mitgefühl für meinen Onkel. Auch er hatte den Menschen, den er auf der Welt am meisten geliebt hatte, früh verloren. Vielleicht war es dieses traurige Schicksal, das uns beide mehr verband, als Worte sagen konnten.
    Ja, traurig war ich immer noch, auch wenn mein Salo nun schon bald zwei Jahre tot war. Aber es tat immer noch weh, wenn ich an ihn dachte, daran, wie schnell und viel zu früh sein Leben zu Ende gegangen war. Wie glücklich hätten wir sein können! Manchmal träumte ich nachts, er sei bei mir, und dann wachte ich auf und weinte.
    Noch schlimmer waren die Träume von Chajim. Dann schrie und jammerte ich im Schlaf, bis mich Jettl weckte und tröstend in den Arm nahm. In diesen Nächten hatte ich entsetzliche Angst, er könne mich finden, mir etwas antun oder mich wieder mit nach Köln nehmen. Ich weiß nicht, was schlimmer gewesen wäre.
    Aber die Träume wurden weniger, die Angst kam seltener. Ich erholte mich, wurde ruhiger, etwas von meiner alten Fröhlichkeit kehrte zurück.

    Und eines Tages war es dann so weit: Ich durfte Onkel Jehuda zum ersten Mal bei einer Krankenbehandlung helfen. Jettl war an diesem Morgen unwohl, vermutlich hatte sie etwas Schlechtes gegessen. Da stand schon der erste Patient vor der Tür. Es war ein Starstich, und der fast blinde Mann war eigens von fernher nach München gekommen – der Ruf meines Onkels als hervorragender Augenarzt reichte ja weit über die Stadt an der Isar hinaus. Ob er nun wollte oder nicht, Onkel Jehuda brauchte jemanden zum Helfen, und ich war zur Stelle.
    Ich weiß noch, dass ich schrecklich aufgeregt war. Heute noch habe ich den Geruch in der Nase, der die Arztstube erfüllte: Kampfer und Balsam, Essig und ein Hauch von Minze. Mein Onkel erteilte mir kurze Anweisungen: »Ich brauche die lange Nadel mit dem beinernen Griff«, sagte er knapp. »Und eine doppelt armlange Bahn vom sauber gewaschenen Leinenverband, die schneidest du ab und legst sie mir zurecht.« Mit zitternden Händen erledigte ich die beiden Aufträge und holte dann den Patienten herein.
    Es war ein Herr, vielleicht im Alter meines Onkels, beleibt und hochgewachsen, mit knolliger Nase und vollen Lippen. Merkwürdig, ich erinnere mich noch genau daran, dass er riesige Ohrläppchen hatte, die wie dicke, fleischige Trauben an seinen Ohren baumelten. Ein junger Mann, vielleicht ein Verwandter, hatte ihn hergeführt. Nach der Kleidung zu schließen war er ein vermögender Christ, wahrscheinlich ein Kaufmann oder Ratsherr. Er trug Samt und Seide, einen pelzbesetzten Hut, und sein Gürtel bestand aus beschlagenen Silberquadraten. Einem Juden hätte man solche Zurschaustellung von Reichtum an einem Werktag nie gestattet. Seine Augen waren milchig eingetrübt, und man konnte unschwer erkennen, dass er vor der Operation Angst hatte.
    Onkel Jehuda begrüßte den Mann freundlich und führte ihn zu einem Stuhl am Fenster. »Seid so gut und nehmt Platz«, sagte er. »Und Ihr dürft gern Euer Wams öffnen. Wir wollen doch, dass Ihr es bequem habt.«
    Der Patient hockte sich folgsam auf eine merkwürdige Holzkonstruktion, einen sechsbeinigen, niedrigen Schemel, an dem eine hohe, schmale Rückenlehne befestigt war. Diese Lehne war in Kopfhöhe mit einer Art ledernem Polster versehen, das je nach Körpergröße des Patienten verschoben werden konnte.
    Ich brachte dem Mann einen kleinen irdenen

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