Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
»Dich versteht man ja auch nicht so recht mit deiner rheinischen Aussprache!« Unbeirrt nahm sie Sara überallhin mit und stellte ihr die Mitglieder der jüdischen Gemeinde vor. Den hinkenden Schulklopfer Simon, der denselben Beruf hatte wie Saras Vater, was sie in eine traurige Stimmung versetzte. Dann den Rabbi, einen noch jungen Gelehrten, der sie an Salo erinnerte und ihr die Tränen in die Augen trieb, als er sie freundlich willkommen hieß. Dann nacheinander alle Juden im Viertel, bis hin zu der uralten, zahnlosen Ruth, die im Spital lebte, und zu dem rotgesichtigen, kahlköpfigen Jitzak ben Moses, der ein bisschen verrückt war, aber den alle mochten, weil er an Neujahr so schön die Schofar blies.
Alle empfingen Sara herzlich; das war unter den gastfreundlichen Juden schon immer guter Brauch gewesen. Als Volk, das über die ganze Welt verstreut war, hielt man einfach zusammen, und jeder, der sich zur Gemeinde gesellte, war willkommen. Keiner fragte viel nach ihrer Vergangenheit, und sie war froh darum. Für die Münchner Juden war sie eine weitläufige Verwandte des Arztes Jehuda, die gekommen war, um bei ihm zu leben. Mehr mussten, ja durften die anderen gar nicht wissen. Denn Sara hatte immer noch Angst, dass ihr verlassener Ehemann sie finden könnte – auch wenn München weit entfernt von Köln lag.
Und ihre Ahnungen trogen sie nicht. Eines Tages kam sie vom Wasserholen und fand den Rabbi mit ihrem Onkel in der Stube sitzen. Schon wollte sie leise die Tür schließen, um nicht zu stören, da rief Jehuda sie herein.
»Der Rabbi ist in einer Angelegenheit gekommen, die dich betrifft, Sara«, sagte er mit ernster Miene.
Sie fror plötzlich. Chajim, dachte sie, o Adonai, hilf!
»Ein Handelsmann aus Köln ist heute Morgen bei mir vorstellig geworden«, erzählte der Rabbi. »Er fragte im Auftrag eines Chajim ben Hirsch nach einer jungen Frau mit Namen Sara bat Levi, die vielleicht in letzter Zeit zu München angekommen oder durchgereist sei … «
Sara brachte vor Angst kein Wort heraus. Schließlich sprach ihr Onkel für sie: »Meine Nichte ist vor ihrem Mann geflohen, der ihr vielfach Gewalt und unaussprechliche Dinge angetan hat. Dass sie überhaupt noch am Leben ist, verdankt sie ihrem Mut zur Flucht. Ich habe sie aufgenommen, und sie wird wie mein eigenes Kind bei mir gehalten. Wenn Ihr sie verratet, Meister Zvi, gebt Ihr sie dem Schlimmsten preis, was einem Weib geschehen kann.«
Der Rabbi seufzte. »Schwörst du bei Gott, Sara, dass es sich so verhält, wie dein Onkel es schildert?«
Sara ergriff die Hände des Meisters; er spürte, wie sie zitterte. »Rabbi Zvi, o bitte helft mir. Ich kann nicht zu meinem Mann zurück, auch wenn es Sünde ist. Eher bringe ich mich um.«
Der Rabbi sah die Entschlossenheit in Saras Augen und nickte. »Es ist gegen alle Mizwot«, sagte er, »aber ich mag deshalb niemanden ins Unglück stürzen. Soll Gott der Gerechte dereinst entscheiden, ob es gut oder schlecht war, was du getan hast, Sara bat Levi. Ich werde dem Mann sagen, dass ich keine Frau dieses Namens kenne.«
Sara war erleichtert, aber die Angst saß ihr dennoch im Nacken. Sie war sich immer sicher gewesen, dass Chajim nach ihr suchte – jetzt hatte sie die Gewissheit. Sie besprach sich mit Jettl und ihrem Onkel, und gemeinsam beschlossen sie, dass Sara in den nächsten Monaten möglichst wenig unter die Leute gehen sollte. Es war zu gefährlich. Irgendwann würde jemand zur falschen Zeit etwas sagen, ihr Versteck vielleicht unwissentlich preisgeben. Sie musste sich zu ihrer eigenen Sicherheit daran gewöhnen, den Menschen zu misstrauen. Zunächst einmal war es besser, sich aus der jüdischen Gemeinde zurückzuziehen; in ein paar Monaten würde man dann weitersehen. Irgendwann musste ihr Mann doch die Suche aufgeben, meinte ihr Onkel, es war nur eine Frage der Zeit. Und die galt es einfach abzuwarten.
Sara machte sich danach hauptsächlich im Haus nützlich. Sie half Jettl, die sich mit dem Laufen manchmal schwer tat, bei den groben Arbeiten, hielt die Stube sauber, kochte und nähte. Mit der Zeit wagte sie es immerhin, Wasser vom Judenbrunnen zu holen, und irgendwann getraute sie sich, Einkäufe auf dem Markt alleine zu erledigen. Es war nicht so schwer, sich in der überschaubaren Stadt an der Isar auszukennen. Aber bei allem, was sie tat, dachte sie stets daran, nicht zu vertraut mit den Leuten zu werden. Es war besser, wenn niemand etwas über sie wusste.
Auch wenn sie nun im Doktorhaus
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