Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
diesen Schriften weht der reine Atem Wyclifs.«
»Jan Hus«, murmelte Connla nachdenklich. »Ich habe von ihm gehört. Es heißt, er sei ein neues Licht in der Finsternis der alten Lehre.«
Oldcastle nickte. »Ich habe ihm schon vor langer Zeit über einen zuverlässigen Boten etliche Werke unseres Meisters in Abschrift zukommen lassen. Jan Hus ist der Einzige, dem ich Wyclifs Nachfolge zutraue. Er hat an der Prager Universität gelehrt und dort den wahren Glauben gepredigt. Er hat sich öffentlich gegen das Papsttum gewandt. Und was das Wichtigste ist: Er besitzt nicht nur eine große Anhängerschaft, sondern auch die Unterstützung breiter Adelskreise. Niemand anderer als er hat die Möglichkeit, John Wyclifs letzten Willen in die Tat umzusetzen, und das vielleicht sogar bald.«
»Woran denkt Ihr?«, fragte Ciaran.
Oldcastle beugte sich vor. »Ich habe Nachricht, dass der deutsche König Sigismund ein Konzil einberufen will. Dabei sollen alle drei Päpste zur Abdankung bewegt und ein neuer gewählt werden. Wenn jemals Rom angegriffen werden kann, dann in diesem Augenblick. Jan Hus wird an diesem Konzil teilnehmen und unsere Lehre dort vertreten.«
»Wenn er es wagt … «, warf Connla ein.
»Wenn nicht er, wer dann?«, erwiderte Oldcastle und bekreuzigte sich. Nie hatte ihm die Ungeheuerlichkeit dieses Unterfangens klarer vor Augen gestanden. Welch große, gefährliche Aufgabe bürdeten sie diesem Mann aus Böhmen auf …
»Gut«, meinte Thomas Whistle. »Lassen wir die Schrift kopieren und schicken einen Vertrauensmann damit aufs Festland. Und wenn Kirche und Krone von England uns dann auch vernichten mögen – wir haben alles getan, um Wyclifs Vermächtnis zu erfüllen.«
Später saßen die drei Freunde am Kamin zusammen. Connla reichte Ciaran einen Becher Wein und lächelte ihm zu. »Willst du nicht lieber weg von hier?«, fragte er leise. »Du bist keiner von uns. Aber wenn wir auffliegen, hängst du mit … «
Ciaran zog eine Augenbraue hoch und sagte gar nichts.
»Connla hat recht«, mischte sich Will ein. »Du hast uns geholfen, um deiner Eltern willen. Deine Aufgabe ist erfüllt. Wir verstehen, wenn du jetzt gehst.«
»Und wo soll ich eurer Meinung nach hin?«
Will zuckte die Schultern. »Zurück nach Irland?«, schlug er vor.
Ciaran schloss die Augen. Wie oft hatte er daran gedacht. Nach Hause! Heim nach Clonmacnoise, das Leben als Mönch wieder aufnehmen, keine Unruhe, keine Zweifel, keine Gefahr mehr. Aber es ging nicht. Er stand immer noch auf der Todesliste des Erzbischofs von Canterbury. Und da war noch etwas: Die Lehren Wyclifs waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Er war nicht mehr derselbe Mensch, als der er das Kloster am Shannon verlassen hatte. Sein Glaube, sein Denken hatten sich verändert.
»Ich kann kein Mönch mehr sein, Will«, sagte er schließlich. »Nicht nach allem, was ich bei euch erlebt habe.«
Oldcastle war herübergekommen und legte Ciaran die Hand auf die Schulter. »Ich verstehe dich gut, mein Junge. Du weißt, dass die Güter deines Vaters von der Krone eingezogen wurden, aber wenn du willst, hast du immer eine Heimat auf Cobham Castle.«
In diesem Augenblick hörte man ein Rumpeln und Krachen vom Tor her, Männer brüllten, Kampfgeräusche ertönten. Connla stürmte zum Fenster. »Sie kommen!«, schrie er, »Das müssen die Männer des Erzbischofs sein! Heiliger Himmel, das ist das Ende! Alles ist verloren!«
»Nein!«, rief Whistle. »Ihr müsst euch verstecken. Will, du weißt Bescheid!«
Will dirigierte die drei anderen zu dem riesigen Kamin. Er langte unter das breite Sims und legte den Hebel um, der die Mechanik zur Öffnung einer geheimen Schlupftür in Gang setzte. Langsam schob sich die linke innere Seite der Feuerstelle nach hinten; ein dunkler, schmaler Spalt tat sich auf. »Schnell«, keuchte Will atemlos, »da hinein.«
Die vier Männer quetschten sich durch die Öffnung und schoben die Steinplatte von innen wieder vor. Dann kauerten sie sich stumm in der kleinen gemauerten Seitennische zusammen. Sie hörten, wie Thomas Arundels Leute den alten Whistle aus seinem Sessel zerrten.
»Wo ist die Schrift, Ketzerschwein?«, brüllte ihn jemand an.
Whistle fing an zu zetern. »Was wollt Ihr von mir? Ich bin nur ein alter Holz- und Pelzhändler, weiter nichts. Fragt den König – meine Nerze sind die schönsten, die man heutzutage kriegen kann. Er hat erst wieder welche bestellt, und mein Schiff, die ›Crown and Country‹, fährt morgen
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