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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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kurzen Zeit, die uns vergönnt war! Diese wenigen Wochen waren wie ein großes Geschenk des Himmels, wie ein Ausflug ins Paradies, von dem nur ich allein wieder auf die Erde zurückgekommen bin. Und dort hat mich der Teufel empfangen! Was wäre nur aus mir geworden, wenn ich bei Chajim geblieben wäre? Du hast nie erfahren, was für ein Tier dein Bruder ist, aber wenn du es gewusst hättest, hättest du meine Flucht gebilligt, auch wenn ich damit Schande über deine Familie gebracht habe. Ich wäre gestorben mit diesem Mann. Dich, nur dich habe ich geliebt, und nie wieder werde ich so lieben können. Aber ich muss nun alleine weitergehen, das verstehst du doch, nicht wahr, mein Löwe? Und jetzt habe ich wenigstens ein großes Ziel: Ich will Medica werden! Liebster Salo, wo mich mein Leben als Ärztin auch hinführt, immer werde ich an dich denken. Und ich weiß, dass du das, was ich tue, für recht befinden würdest. Sei mir nicht böse, wenn ich meine Zukunft ohne dich lebe. Mein Glück mit dir werde ich immer wie einen Schatz in meinem Herzen tragen und hüten.
    Ich wusste, dass Salo mich hören konnte, irgendwo dort draußen. Wo immer er auch jetzt war, ein Teil von ihm lebte in mir fort.

    Und dann, endlich, kam das Wichtigste: Onkel Jehuda lehrte mich die Kunst des Messers!
    Zuerst hatte ich Angst, in die Haut eines Menschen zu schneiden, vor allem dann, wenn er bei Bewusstsein ist. Aber bald spaltete ich ohne mich überwinden zu müssen meine ersten Furunkel, öffnete kleine Geschwüre und oberflächliche Abszesse. Hier brachte der Schnitt den Patienten mehr Erleichterung als Schmerz, und es ging alles ganz schnell. Anders war es bei schwereren Operationen. Hier wägte mein Onkel genau ab. »Wir Ärzte können einen Kranken betäuben, wenn es darum geht, tief zu schneiden oder der Eingriff sehr lange dauert. Dafür brauchen wir Mandragora, Schlafmohn und Bilsenkraut, aus denen wir eine wässrige Mischung herstellen. Ein Schwamm, in diese Mischung getaucht und unter die Nase des Patienten gehalten, lässt diesen in einen Zustand der Ohnmacht hinübergleiten. Aber Vorsicht: Nur der Arzt darf den Schlafschwamm anwenden, der die Dosierung recht einschätzen kann. Dosis facit venenum – die Menge macht das Gift! Zu viel davon und der Kranke wacht nie wieder auf. Deshalb wagen die meisten Ärzte nicht, mit dem Schlafschwamm zu arbeiten. Lieber soll der Kranke den Schmerz ertragen.«
    Überhaupt, das weiß ich inzwischen, gibt es nur wenige Ärzte, die schneiden. Meistens tun dies die Bader, und oft gar nicht schlecht. Ich jedoch begann, Freude an der Chirurgia zu finden und bat Onkel Jehuda, mir mehr davon beizubringen. Erst wollte er nicht recht. Aber ich lag ihm beständig in den Ohren, und irgendwann gab er nach. Ich durfte meine erste wirkliche Operation wagen.

    Heute noch sehe ich mich mit weichen Knien, aber entschlossener Miene vor der Liegestatt stehen, auf der meine Patientin seitlich mit angezogenen Knien lag. Es war eine Frau mittleren Alters mit einer riesigen Wucherung, die vom Kinn bis zum Ohr reichte.
    »Nicht zu tief schneiden, Mädchen«, mahnte mein Onkel, während ich das scharfe, spitze Operationsmesser unterhalb des Ohrläppchens ansetzte. »Nur knapp durch die Haut. Und jetzt gerade bis zum Kinn. Siehst du, es ist nicht viel anders, als wenn du einen großen Abszess öffnest.« Mit einem Schwamm tupfte er das hervorquellende Blut weg, während ich den zweiten Schnitt von der Mitte der Wange bis zur hinteren Kinnlade setzte. Die Frau, die mit geschlossenen Augen dalag, zuckte und stöhnte leise, blieb dann aber ruhig. Onkel Jehuda hatte sie auf ihren Wunsch hin – sie hatte große Angst vor Schmerzen – mit einem Schlafschwamm leicht betäubt. Während er nun die Hautlappen mit Hakennadeln aufzog und wegspreizte, unterband ich mit feinem Fohlen-Rosshaar zwei große Adern und ein kleineres Gefäß. Damit war die stärkste Blutung gestillt. Ich merkte, wie mein Onkel kurz die Augen zusammenkniff, aber er sagte nichts. Stattdessen griff er sich ein stumpfes Schälmesser und löste die riesige gelbliche Geschwulst mit schabenden Bewegungen von Haut und Knochen. Ich tupfte beständig Blut weg, bis er die Masse im Ganzen heraushob und in eine Schüssel warf. Noch drei weitere Gefäße mussten abgebunden werden; anschließend nähte ich sorgfältig die Wunde wieder zu. Sobald dies geschehen war, weckten wir die Frau auf, diesmal mit einem Schwamm, der in Essig und Rautensaft getaucht war. Ihre

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