Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)
von dem Juden-Doctor sagen was man will, ich habe mich bißhero bey ime nit übel befunden, dann erstlich ist er sehr fleyßig in Besuchungk seiner Patienten, alßo daß er in einem Tage wol zwey oder drey mehr Visiten wurd ablegen und bißweilen zwey oder drey und mehr Stunden bey dem Patienten wurd sitzen. Zum andern ist er sehr behutsam und vorsichtigk in seinen ordinationibus. Er verschreibet lautter gelinde medicamenta, die den Menschen nit starck angreiffen und abmatten … «
Sara
Von Onkel Jehuda erfuhr ich, dass es vor mir berühmte Ärztinnen unter der Judenschaft gegeben hat. So erzählte er mir von der klugen Rebekka, die vor bald zweihundert Jahren in der italienischen Stadt Salerno, dem Zentrum der abendländischen Medizin, studiert hatte. Von ihr stammen sogar schriftliche Abhandlungen über das Fieber, den Urin und den menschlichen Fötus. Und vor etwas mehr als hundert Jahren hatte die spanische Königin Leonor zwei jüdische Leibärztinnen mit Namen Ceti und Floreta, die man ehrerbietig mit dem Titel ›Magistra‹ anzureden hatte.
Natürlich waren Frauen in der Geschichte der Ärzteschaft sehr selten. Aber dass es sie überhaupt gegeben hatte, machte mir Mut, weiterzulernen.
Auch eine Christin war unter meinen Vorbildern, die berühmteste aller weiblichen Ärzte: Hildegard von Bingen, die Nonne. Onkel Jehuda besaß die Abschrift eines ihrer Bücher, der »Causae et Curae«, in dem Wichtiges über die Ursache und Behandlung von Krankheiten steht. Hildegard heilte vor allem mit den Mitteln der Tier- und Pflanzenwelt; heute noch benutze ich viele ihrer Rezepturen, die stets gut und wirksam waren. Sie bereitete viele Tränke aus Kräutern mit Wein, mischte Salben und stellte aus Mehl kleine, münzgroße Tortelli oder Kucheln her, in die pulverisierte Heilkräuter eingebacken wurden. Auf der anderen Seite war sie noch eine Anhängerin der alten Heilschule, die mit widerlichen Substanzen wie Kot, Schleim und Ähnlichem behandelte – so kenne ich von ihr eine Rezeptur gegen Lepra, in der Schwalbenkot mit Klettenkraut zu Pulver zerstoßen und dann mit Schwefel und Storchenfett vermischt werden soll. Onkel Jehuda regte sich jedes Mal furchtbar auf, wenn er hörte, dass es immer noch Ärzte gab, die sich an diese »Drecksmedizin«, wie er es nannte, hielten.
Ja, es gab und gibt viele falsche Lehren in unserem Beruf. Onkel Jehuda machte mich mit allen vertraut, denn man muss auch wissen, was man als Arzt nicht tun darf. So lernte ich ein Prinzip verwerfen, nach dem die allermeisten Ärzte noch behandeln: Das Prinzip der »heilsamen Eiterung«. Danach kann eine Verletzung oder ein Gebrechen erst heilen, wenn Eiter entstanden und abgeflossen ist, denn im Eiter sammeln sich alle schlechten Substanzen der Körpersäfte. Die ungebildeten Ärzte rufen deshalb mit allen möglichen Verunreinigungen der Wunde eine künstliche Eiterung hervor. Onkel Jehuda hat mir aber mehrfach bewiesen, dass eine Wunde viel schneller und mit viel kleinerer Narbe heilt, wenn sie sauber mit Wein oder verdünntem Essig ausgewaschen wird. Daran habe ich mich später immer gehalten.
Ich hatte so viel zu tun und zu lernen, dass ich oft nicht wusste, wo mir der Kopf stand. Dennoch gab es manchmal Augenblicke, in denen ich innehielt. Dann ertappte ich mich dabei, wie ich mit Salo Zwiesprache hielt. Meistens war das am Abend, wenn ich allein in meiner Kammer saß, oder am Schabbat, an dem mein Onkel nur Notfälle behandelte und mich nicht brauchte. Schau, Salo, sagte ich dann im Stillen, schau, wo ich jetzt bin und was ich tue. Stolz wärst du auf mich, mein Liebster. Ich lerne die Medizin! Ich helfe meinem Onkel, Menschen zu heilen und viel Gutes zu tun. Die meisten finden es ungewöhnlich, ja, verabscheuenswert, dass eine Frau eine solche Beschäftigung ausübt. Sie meinen, ein Weib sei in der Küche am besten aufgehoben und ihre einzige Pflicht seien Kinder und Familie. Aber du, Salo, du hättest gutgeheißen, dass ich lerne und für mich einen besonderen Platz im Leben finde. Die Burg aus Silber, so hast du diesen Ort einmal genannt, erinnerst du dich? Der Weg dorthin ist lang und schwer, aber ich will ihn gern gehen. Und manchmal sehe ich am Ende dieses Weges meine Burg aufblitzen, herrlich schön und voller Verheißung. Weißt du, ich habe geglaubt, ich könne ohne dich nie mehr glücklich sein. Jetzt habe ich das Gefühl, dass die Aufgabe als Ärztin mich wenigstens zufrieden macht. Ach, Salo! Wie glücklich waren wir in der
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