Die Silberne Festung
damit wir wieder Strom bekommen. Der Ladearm scheint beschädigt zu sein, deshalb steht Ihnen eine mühsame Arbeit bevor. Sie müssen den Treibstofftank mit dem MMU zu den Brennstoffzellen schleppen und sie von außen betanken. Sehen Sie dabei irgendwelche Schwierigkeiten?«
»Daheim in Ohio hab’ ich schon als Neunjähriger in einer Tankstelle ausgeholfen.«
»Okay, aber halten Sie sich für den Fall bereit, daß Ann Hilfe braucht.«
»Verstanden.«
»Ken, Sie begleiten mich in die Station«, sagte Saint-Michael zu Horvath. »Wir versuchen als erstes, wieder Solarenergie zu bekommen; danach ist die Energieversorgung aus den Brennstoffzellen an der Reihe.
Sollten Sie zwischendurch Beschädigungen des Kommandomoduls finden und abdichten können, würde das unsere Arbeit erleichtern. Ansonsten versuchen wir nur, die Lagekontroll- und Lebenserhaltungssysteme der Station instand zu setzen… Jon, Sie bleiben für die America verantwortlich und versuchen auszuhelfen, wo Unterstützung gebraucht wird. Die PAM-Booster sind am wichtigsten; danach kommen das Nachtanken und die Reparaturen. Und Sie halten uns über Funksprüche von Falcon Control auf dem laufenden, bis wir Silver Tower wieder empfangsbereit gemacht haben.«
»Wird gemacht.«
Eine halbe Stunde später waren sie bis auf einige hundert Meter an Silver Tower herangekommen.
Der Anblick der Raumstation dämpfte den allgemeinen Enthusiasmus für lange Sekunden gewaltig… Die Schäden waren weit schlimmer, als selbst die Pessimisten unter ihnen befürchtet hatten.
Die Geschwindigkeit, mit der die Raumstation kreiselte, hatte abgenommen, aber dafür drehte sie sich um alle drei Achsen gleichzeitig und glich dadurch einem außerirdischen vielarmigen Ungeheuer, das Dutzende von Auswüchsen nach dem Raumflugzeug auszustrecken schien, um es zu ergreifen und zu verschlingen. Durch die Ionisation in den höchsten Schichten der Erdatmosphäre war die Station mit einer buntschimmernden, wabernden Aura umgeben. Teile des offenen Kielgerüsts glühten sichtbar, und Wolken aus Trümmern und gefrorenem Wasser, Gasen und Treibstoff hingen überall. Mehrere große Segmente der SBR-Antennen und der Solarkollektoren waren beschädigt oder fehlten ganz.
Hampton sah unbehaglich zu Saint-Michael hinüber. »Finden Sie’s nicht riskant, sich der Station zu nähern, solange sie Funken sprüht und von Wrackteilen umgeben ist?«
»Doch – aber wir müssen trotzdem hin.«
»Augenblick, Sir!« protestierte der Oberst. »Ich halte das Risiko für verdammt hoch. Wir müssen mitten in diese Trümmer und die Ionisation hineinfliegen. Und dann müßten wir versuchen, den Bewegungen der Station zu folgen… Der geringste Fehler würde auch das Ende der America bedeuten.«
»Diese Risiken sind bekannt gewesen, Jon. Wir alle haben sie gekannt…«
Hampton schwieg nachdenklich. »Okay, wie Sie meinen, General«, sagte er schließlich schulterzuckend. »Dann stecken wir unsere Nase eben in diesen Bienenstock.«
Saint-Michael nickte und umfaßte den elektronischen Steuerknüppel fester.
»Achtung, jetzt geht’s los!«
Die Vorschub liefernden Steuertriebwerke waren erst genau zwei Sekunden in Betrieb, als ein erschreckend lauter Knall die America vom Bug bis zum Heck erzittern ließ. Saint-Michael sah kurz zu Hampton hinüber, während sie beide auf ihren Monitoren nach Schadensmeldungen suchten.
»Ziemlich große Bienen«, meinte Hampton lakonisch.
Saint-Michael ignorierte ihn, konzentrierte sich wieder auf seinen Steuerknüppel und lenkte die America in die wirbelnden Massen hinein.
***
Da nur Kommandant und Pilot aus den Cockpitfenstern der America sehen konnten, blieb es den anderen erspart, die Ursachen des Krachens, der Detonationen und der Blitze aus Licht und Hitze zu erkennen, die das Raumflugzeug während der Annäherung an Silver Tower zu zerreißen drohten.
Schon als sie nur 200 Meter näher an die beschädigte Raumstation herangekommen waren, stieg die Laderaumtemperatur gefährlich an. »Temperaturwarnung Laderaum«, meldete Hampton.
Saint-Michael setzte sofort den vorprogrammierten Befehl zum Ausstoßen des Treibstofftanks außer Kraft und schaltete statt dessen die Notkühlung ein, so daß superkalter Flüssigwasserstoff aus den Treibstofftanks der America durch die Radiatoren floß. Das war ein riskanter Entschluß – das winzigste Leck im Kühlsystem hätte Wasserstoff austreten lassen, den die vorbeiströmenden extrem heißen ionisierten Teilchen entzündet
Weitere Kostenlose Bücher