Die Silberne Festung
Schultz. Saint-Michael hob den Kopf, als der Manipulatorarm der America sich aus seiner Halterung entfaltete, bis die an ihm angebrachte Videokamera den Laderaum erfaßte.
»Klar zum Ausstoßen der hinteren Einheit.«
Saint-Michael bewegte sich zwei Meter rückwärts. »Los!« Der Booster hob inmitten einer kleinen Gaswolke ab und glitt langsam aus dem Laderaum. Saint-Michael folgte ihm hinaus, manövrierte sich unter die seitlich angebrachte, verstärkte Halterung und schwebte etwas weiter nach vorn, bis er den Booster umfassen konnte. Dann zog er sich mit beiden Armen an den unförmigen Zylinder heran, bis er sein MMU in der Halterung einklinken konnte.
»Ich habe das erste PAM«, berichtete er. »Ann, ich bewege mich zum Bug der America, um meinen Booster parallel zum Kiel zu montieren. Du bringst deinen hinter dem Heck senkrecht zum Kiel an. Vielleicht können wir so auch die Drehbewegung stoppen, während wir die Station in eine höhere Bahn schießen.«
»Verstanden.«
»General, hier ist Hampton. Unsere Höhe beträgt hundertzwanzig Kilometer. Die Laderaumtemperatur ist wieder im roten Bereich.«
»Stellen Sie wieder die Notkühlung an.«
»Das habe ich bereits getan. Die Temperatur ist gesunken, aber jetzt steigt sie erneut. Uns bleibt keine Zeit mehr. Ich schlage vor, daß wir den Treibstofftank abwerfen und zusehen, daß wir hier verschwinden.«
»Kommt nicht in Frage!… Ann, wo bist du?«
Bevor sie seine Frage beantworten konnte, sah er sie aus der Luftschleuse schweben. »Bin schon unterwegs!« Nur wenig später kam er an ihr vorbei, ließ die Cockpitfenster und den spitzen Bug der America hinter sich und schwebte von winzigen Gasstrahlen angetrieben das Kielgerüst der Raumstation entlang.
»Leute, wir müssen uns beeilen. Marty, wir brauchen Sie und Horvath hier draußen. Sofort !«
»Wir sind beide in der Schleuse und ziehen unsere Anzüge an«, antwortete Schultz. »In spätestens drei, vier Minuten sind wir draußen.«
Ann und Saint-Michael brauchten weitere zehn Minuten, um die PAM-Booster am Kielgerüst anzubringen. Unterdessen hatten auch Schultz und Horvath die Schleuse verlassen. Schultz nahm das letzte MMU – die America hatte nur drei an Bord – und half Ann, ihren Booster am Kiel zu befestigen. Horvath, der ohne MMU auskommen mußte, sich aber mit Schlingen und Klammern sicherte, war auf dem Weg in das Kommandomodul von Silver Tower.
»Mein Booster ist angebracht«, berichtete Saint-Michael. »Ann?«
»Nur noch eine Minute, dann…«
Horvath ließ einen erstickten Schrei hören. Vor sich hatte er die Schreckensszene im Andockmodul, in dem sieben der toten Besatzungsmitglieder lagen. Er versuchte, dieses Bild sofort wieder zu verdrängen, obwohl er wußte, daß es ihn sein Leben lang verfolgen würde. Sekunden später meldete er: »General, ich bin im Verbindungstunnel. Er ist drucklos, aber im Skybolt-Modul wird normaler Druck angezeigt. Ich sehe dort und im Technikmodul Licht. Außerdem sind einige Beschädigungen zu erkennen, die aber unbedeutend zu sein scheinen…«
Gott sei Dank! dachte Ann im stillen.
»General«, drängte Hampton erneut, »die Zeit läuft uns davon…«
»Fertig!« rief Schultz.
»Ann und Marty, ihr macht euch am Kiel fest. Ken, Sie sehen zu, daß Sie dort drinnen Halt finden… Jon, Sie müssen Ihren Abstand zur Station vergrößern, bevor wir die Booster zünden. Beide Booster einsetzen!«
befahl Saint-Michael.
»Booster klar zur Zündung«, meldete Hampton. »K-Banddatenübertragung von der Erde einwandfrei. Achtung… jetzt geht’s los!«
Als der Booster zu arbeiten begann, spürte Ann, wie ihr Gewicht an den Klammern zerrte, mit denen ihr MMU am Kiel von Silver Tower befestigt war. Sie fühlte heftige Vibrationen im Kielgerüst; dann arbeitete der Booster plötzlich nicht mehr, aber die Rotation ging weiter.
»Warum hat er aufgehört?« fragte sie. »Ist er…«
Sie konnte ihre Frage nicht ganz stellen, weil in diesem Augenblick Saint-Michaels Booster zu arbeiten begann. Danach folgte ein kräftiger Schub ihres Boosters, der durch einen kurzen Impuls aus dem zweiten ergänzt wurde. Dadurch entfernten die Raumstation und die an ihr hängenden Menschen sich mit etwa 15 Stundenkilometern von der Erde. Ann und die anderen hatten den Eindruck, von einem langsam fahrenden Auto mitgeschleppt zu werden. Die America schien seitlich vorwärts zu gleiten und dabei abzukippen. Selbst die Trümmerschleier gerieten in Bewegung und blieben wie eine
Weitere Kostenlose Bücher