Die Silberne Festung
würdest, falls dein Vater… falls ihm etwas zustieße, daß wir trotz aller Entfernung Zusammensein würden.« Sie drehte sich wieder nach dem Geländer um. »Blicke ich dort hinüber und sehe das Schiff deines Vaters, weiß ich, daß er von den besten Männern und der besten Ausrüstung der Welt umgeben und geschützt ist. Aber wenn ich daran denke, wohin du unterwegs bist und welche Risiken du damit eingehst… nun, das ist fast mehr, als ich begreifen kann. Ich glaube, daß ich noch nie soviel Angst gehabt habe. Das gebe ich offen zu…«
»Entschuldige, Mom, meine Forschungsarbeit hat mich so sehr beschäftigt, daß ich nie darüber nachgedacht habe, wie sie sich auf dich auswirken könnte.«
Amanda schüttelte den Kopf. »Darüber sollst du dir auch keine Gedanken machen. Du bist wie dein Vater. Er hat mir Hunderte von Malen versichert, wie sehr es ihn belastet, mich allein zu lassen – aber sämtliche Geschütze seiner Schlachtschiffe könnten ihn nicht daran hindern, es trotzdem zu tun. Ich bewundere euch beide; ich wünsche mir oft, ich besäße etwas von eurer Tatkraft, von eurer Energie… Und ich wünsche mir, wir wären öfter zusammen. Die Jahre vergehen schneller, als den meisten von uns klar ist. Es ist einfach, alles für selbstverständlich zu halten – und noch einfacher, sich selbst zu bemitleiden. Entschuldige, daß ich dich damit belastet habe…«
Ann umarmte ihre Mutter und hielt dann den Becher mit Bier hoch. »Der Kapitän hat bestimmt schrecklichen Durst«, sagte sie.
Ihre Mutter lächelte wissend. »Ich habe im Officer’s Wives Club noch weitere Gerüchte gehört«, fügte sie hinzu, während sie an zwei Jungen vorbeigingen, die Fähnchen der Oakland A’s verkauften. »Über die Raumstation Silver Tower… und wie sehr die Russen sie hassen. Und wie verwundbar sie ist. Aber das sind wahrscheinlich auch wieder nur unbegründete Sorgen?«
Ann wollte etwas antworten, schwieg dann aber doch. Was hätte sie Tröstliches sagen können, das keine Lüge gewesen wäre? Um ihre Mutter abzulenken, deutete sie auf einen Mann, der mit einer Videokamera vor der Offiziersloge stand.
»Bitte lächeln!« verlangte der Kameramann. »Sie kommen auf die Anzeigetafel.«
Page und seine Familie sowie seine Offiziere und ihre Angehörigen winkten in die Kamera. Ann sah dabei zu der riesigen Anzeigetafel hinüber, auf der jetzt ihr Vater mit seiner Baseballmütze, auf deren Schirm in Goldstickerei DLGN-36 USS CALIFORNIA stand, und seinem T-Shirt mit dem Emblem der Oakland A’s erschien. Unter dem großen Farbbild stand: »Kapitän zur See Matthew Page, Kommandant der USS California «. Auch Ann war auf der Anzeigetafel zu sehen: »Dr. Ann Page, Missionsspezialistin der Raumfähre Enterprise «. Die Zuschauer applaudierten kurz. »Wir sind berühmt, Babe!« sagte Page zu seiner Frau und zog sie an sich. Amanda Page sah zu ihrer Tochter hinüber, rang sich ein Lächeln ab und winkte zurückhaltend in die Kamera.
***
Es wurde deutlich, daß es nur eine Möglichkeit gab, den Dutzenden von Seeleuten, die auf der Kommandobrücke der USS California zu tun hatten, nicht in die Quere zu kommen: Man mußte sich hinter den hochlehnigen Sessel des Kapitäns stellen – und genau das tat Ann Page eine Woche nach dem Baseballspiel. Auf der Brücke herrschte lautes Durcheinander aus gebrüllten Befehlen, klingelnden Telefonen und den Betriebsgeräuschen aller möglichen Maschinen und Geräte.
Trotzdem stellte Ann fest, daß Kapitän zur See Page jeden Augenblick Herr der Lage blieb. Kein Vergleich mit dem Kind im Manne, das sie beim Baseballspiel erlebt hatte. Es war aufregend, ihm bei der Arbeit zuzusehen. Er schien immer genau zu wissen, wann ein Mann, den er brauchte, in Hör- oder Reichweite war. Sein Telefon hörte auf geheimnisvolle Weise zu klingeln auf, sobald er es benutzen mußte. Sein Kaffeebecher war niemals weniger als halbvoll, denn trotz der hektischen Betriebsamkeit bahnte sich immer ein Steward den Weg durch die Menge, um den Becher mit der Aufschrift The Boss of the Boat nachzufüllen. Und der Becher wagte es nie, über den Tisch zu rutschen oder auch nur einen Tropfen auf die gestärkte Khakiuniform vom Boss zu verschütten.
»Ist es wirklich in Ordnung, daß ich hier bin?« fragte Ann in einem verhältnismäßig ruhigen Augenblick. Ihr Vater machte eine weitausholende Bewegung mit seinem Kaffee.
»Klar ist’s in Ordnung.« Er wandte sich an einen jungen Offizier. »Verdammt noch mal,
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