Die Silberne Festung
unterwegs, Dad.«
Die Nennung des streng geheimen Ziels der California verblüffte Page.
»Woher…?«
»Das spielt keine Rolle«, sagte sie rasch. »Aber wie ich dich nicht von deinem Schiff holen kann, kannst du mich nicht von der Enterprise fernhalten…« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihren Vater auf die Wange. »Ich wünsche dir eine glückliche Reise und baldige Heimkehr.«
Er drückte sie an sich. »Und dir wünsche ich einen sicheren, erfolgreichen Flug, Ann.«
Der junge Seemann geleitete Ann zu der breiten überdachten Gangway an der Steuerbordseite der California. Unten auf der Pier erwarteten sie einige Reporter, aber Ann ignorierte sie und machte sich auf die Suche nach ihrer Mutter. Sie entdeckte sie in der Nähe des für Offiziersfrauen reservierten Bereichs, der zum Wasser hin mit einer Reling gesichert war.
»Er kommt gesund wieder«, sagte Ann halblaut. Ihre Mutter starrte wortlos zur Kommandobrücke hinauf, während die USS California langsam ablegte und Kurs auf die Golden Gate Bridge nahm.
JUNI 1992
Vandenburg Air Force Base,
Kalifornien
Ann war plötzlich hellwach und spürte stechende Schmerzen im Unterleib.
Ihre verknitterte Bettwäsche fühlte sich wie die feuchten Leichentücher einer Mumie an und schien sie erwürgen zu wollen. Sie kämpfte gegen ihre Schmerzen an und strampelte die Laken weg.
»Ein verdammter Alptraum«, sagte sie halblaut und völlig außer Atem.
Nach monatelanger Ausbildung, viel Simulatortraining und angestrengtem Lernen hatte sie zuletzt einen Challenger- Alptraum gehabt.
Sie wälzte sich erschöpft und ausgepumpt im Bett und warf. einen Blick auf ihren Wecker. Kurz nach zwei Uhr. Damit war sie binnen fünf Stunden zum achten Mal aus einem Angsttraum hochgeschreckt. An erholsamen Schlaf war in dieser Verfassung nicht zu denken.
Vom Space-Shuttle-Kommandanten bis hinunter zum Servierpersonal des Schulungszentrums hatten alle sie vor Challenger -Alpträumen gewarnt, unter denen fast jeder, der auch nur am Rande mit dem wiederaufgenommenen Raumfährenprogramm zu tun hatte, zu leiden schien. Aber sie hatte das Gefühl, in ihrem Fall seien die Angstträume noch schlimmer – weil sie nur eine zivile Missionsspezialistin mit minimaler Flugausbildung war. Obwohl ihr Wecker erst in zwei Stunden klingeln würde, stand Ann jetzt auf und wankte ins Bad. Jeder Versuch, noch weiterzuschlafen, hätte ihre Qualen nur verlängert. Ann fühlte sich erschöpft wie nach einem Marathonlauf, als sie ihr kurzes Nachthemd abstreifte und sich im Licht der einzigen Glühbirne an der Decke im Badezimmerspiegel betrachtete.
Dabei fiel ihr auf, daß ihre vergeblichen Versuche, etwas Schlaf zu finden, dunkle Ringe unter ihren grünen Augen hinterlassen hatten… »Schade, daß Astronauten keinen Helm mehr tragen – ein Visier würde wenigstens die Ringe verdecken«, erklärte sie ihrem wenig attraktiven Spiegelbild.
Was der Spiegel ihr zeigte, gefiel ihr ohnehin nie sonderlich. Ann runzelte die Stirn, während sie ihre zu runden grünen Augen, ihr glattes rötlichbraunes Haar, ihren wenig bemerkenswerten Busen und die zu dünnen Beine betrachtete. Eigentlich hatte sie lange schlanke Beine, aber allein damit ließen sich keine Männer ködern. Okay, sie sah nicht einmal schlecht aus, aber sie war kein Mädchen, das Männer in Briefen nach Hause begeistert schilderten.
Außerdem war ein Körper nichts, was man stolz herzeigte, sondern etwas, das man trainierte und bewußt gesund erhielt. Durch jahrelanges Training hatte Ann ihren Körper dazu gebracht, erfolgreich Sportwettkämpfe statt Schönheitswettbewerbe zu bestreiten. Zu Hause bei ihren Eltern hatte sie sogar ein paar gewonnene Leichtathletikpokale stehen.
Dem systematischen Training verdankte sie einen gesunden, wenn auch nicht spektakulären Körper, das Bedürfnis, jeden Tag zu laufen – und viel zu wenige Verabredungen. Wer hatte einmal behauptet, man könne nie zu schlank oder zu reich sein? Jedenfalls hatte er nur halb recht gehabt…
Ann befreite ein Zahnputzglas von seiner dünnen Plastikhülle, ließ es mit lauwarmem Leitungswasser vollaufen und trank einen kleinen Schluck. Sie spürte, wie die Flüssigkeit durch ihre Speiseröhre lief, ohne sie jedoch zu erfrischen. Ein großartiger Tagesbeginn! Und wie merkwürdig, daß sie zum ersten Mal seit Monaten wieder an ihre High-School- und College-Zeit und ihr Verhältnis zu Männern gedacht hatte. Sogar der Shuttle-Pilot in ihrem Traum war ein
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