Die Silberschmiedin (2. Teil)
nicht?»
Heinrich schüttelte den Kopf. «Er wäscht sich mit nacktem Oberkörper am Brunnen im Hof. Beinahe jeden Morgen. Susanne steht pünktlich am Fenster und sieht ihm dabei zu.»
«Nun, die Feuerschlucker auf dem Jahrmarkt tragen auch keine Wämse.»
«Sind wir hier etwa auf dem Jahrmarkt?», gab Heinrich erbost zurück. «Nein, das sind wir nicht. Und die Weiber auf der Kirmes halten sich zurück, während Susanne erst heute Morgen ihr Mieder aufgeschnürt und ihre nackten Brüste wie Äpfel in der Auslage hergezeigt hat.»
Eva schüttelte den Kopf. «Du musst dich getäuscht haben, Heinrich.»
Doch Heinrich hatte sich in Rage geredet. «David ist voller Sünde, Eva. Das musst du doch auch sehen.»
Er hielt inne und sah sie lange und eindringlich an. «Eva, ich kenne Euch seit dem Tag Eurer Geburt. Ihr seid mir lieb wie eine eigene Tochter, die der Herrgott mir versagt hat. Verschmäht den Ratsherrn Mattstedt nicht länger. Ein guter Herr und Ehemann wäre er. Zucht und Ordnung würde herrschen, wäre er der Hausherr.»
«Ach, Heinrich», sagte Eva und drückte dem alten Mann einen Kuss auf die stoppelige Wange. Sie dachte an die Briefe, die Sibylla ihr allwöchentlich schrieb und die sie nicht mehr zu Ende las. Jedes Mal drängte ihre Mutter darauf, endlich die Hochzeit mit Mattstedt anzusetzen. Mal bat sie, dann wieder verlangte sie oder drohte gar. Doch Eva hatte sich bisher einfach nicht durchringen können, der Mutter zu Willen zu sein. Und nun fing auch noch Heinrich an. Sie nahm einen weichen Lappen und polierte an einem silbernen Krug herum.
Heinrich verstand und ließ Eva allein.
Eva fuhr fort, die Kanne zu bearbeiten. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Schon das Kleid in seiner Kammer war ein deutlicher Hinweis gewesen, und nun auch noch das. Hatte sie es bisher nur nicht wahrhaben wollen? Eva verschloss die Tür mit einer Kette und eilte zu Susanne in die Küche.
«Stimmt es, dass du ihm deine bloßen Brüste zeigst, wenn er sich am Brunnen wäscht?»
Susanne fuhr herum. «Wer sagt das?»
Eva zuckte mit den Achseln. «Du weißt doch, dass früher oder später alles ans Tageslicht kommt. Sag, gefällst du ihm so, dass er dir den Hof macht? Bist du das Liebchen, welches nur darauf wartet, dass er die Bettdecke lüpft?»
Susanne lächelte überlegen: «Das, Eva, geht dich nichts an. Ich bin zwar deine Magd, nicht aber deine Sklavin. Wenn ich Lust habe, mir einen Mann zu suchen und ihm schönzutun, dann tue ich es, und du kannst es mir nicht verbieten.»
Eva nickte. Diese Antwort war eindeutig. Susanne selbst war das Liebchen, von dem sie gesprochen hatte. Aber wurde sie auch von ihm geliebt?
Von draußen drangen die Glockenschläge von St. Nikolai herein, die die Mittagsstunde verkündeten. Bevor Eva weiter nachfragen konnte, fuhr Susanne fort: «Davon abgesehen habe ich jetzt keine Zeit für Geschwätz. Die Männer werden gleich kommen. Ich muss das Essen auf den Tisch bringen.»
«Gut», erwiderte Eva. «Ich werde dich nicht stören.»
Sie setzte sich an den Tisch, rückte dort eine Schüssel, da einen Becher gerade und beschloss, sich heute mit eigenen Augen davon zu überzeugen, was im Hause vor sich ging. Liebte David Susanne?
Ihre Gedanken schweiften ab. Wie lange war es her, dass er sie geküsst hatte? Und wann hatte David ihr gesagt, wie schön sie war?
Plötzlich hielt sie es nicht mehr aus. Nein, sie wollte sich nicht mit eigenen Augen davon überzeugen, wie Susanne sich ihm schamlos darbot.
Sie stand auf und holte sich einen leichten Umhang.
«Ich werde später essen», war alles, was sie hervorbrachte, dann eilte sie aus dem Haus. Ohne einen Blick auf die prächtigen Häuser zu werfen, eilte sie die Hainstraße entlang über den belebten Marktplatz, auf dem ein Holzgerüst für die bevorstehenden Passionsspiele aufgebaut wurde, und bog in ein kleines Gässchen ein, das zur Kirche St. Nikolai führte.
Als sie die Kirche betrat, atmete sie erleichtert auf. Endlich Ruhe. Die Stille umfing sie und beruhigte sie. Eva beobachtete hingerissen, wie feine Stäubchen im Licht der Sonnenstrahlen tanzten, die durch die hohen Fenster in die Kirche fielen.
«Eva», rief eine gedämpfte Stimme. Sie schreckte hoch und erkannte Johann von Schleußig, der am Altar hantierte.
«Was führt Euch hierher?», fragte er. «Für die Frühmesse seid Ihr zu spät und für die Nachmittagsmesse zu früh.»
«Ich …», Eva holte tief Luft. «Ich möchte beichten.»
«Jetzt
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