Die Silberschmiedin (2. Teil)
rutschte auf dem Hocker bis ganz nach vorn und spreizte die Schenkel ein wenig.
Sie ist von Grund auf verdorben, dachte Eva. Der Geruch der Vorstadt hängt ihr wie Pech in den Kleidern.
Sie trat hinter Priska und streichelte deren Schulter. Tränen quollen zwischen den Lidern der Kleinen hervor.
«Warte, ich helfe dir», sagte sie zu David, kniete sich neben die Tonschüssel und bestrich Priskas Waden.
Am nächsten Morgen in der Werkstatt tat David, als hätte er die Szene vom Vortag vergessen. Er scherzte mit Eva und Regina, lobte Priska für ihre Arbeit und hatte sogar für Heinrich ein freundliches Wort. Gegen Mittag verließ er die Werkstatt, um Besorgungen zu erledigen.
«Warum tut er das?», fragte Priska, kaum dass er weg war.
Eva wusste genau, was das Mädchen meinte.
«Er will Neues schaffen. Überall werden neue Dinge erfunden. Bücher werden gedruckt, neue Länder entdeckt. David ist einer der Ersten, die die neue Zeit in den Alltag bringen wollen. Deshalb nimmt er unsere Glieder als Modell.»
«Meint Ihr, die besten Vorlagen liefert die Natur?»
Eva nickte und konnte die Traurigkeit in ihrer Stimme nicht mehr unterdrücken. «Er möchte die Schönheit festhalten. Bald werden sich unsere Körper verändern. So, wie sie jetzt gerade sind, sind sie nur in diesem Augenblick. Verstehst du das?»
Priska schüttelte den Kopf. «Warum malt er keine Bilder? Warum fertigt er stattdessen Masken von unserem Körper?»
Das Wort Maske traf Eva wie ein Schlag.
«Er macht keine Masken. Gott weiß, dass David so etwas nicht tut. Er nicht und auch kein anderer, den wir kennen. Sag so etwas nie wieder. David fertigt Gegenstände an. Mit Masken hat er nichts zu tun. Genauso wenig wie Adam», fuhr sie auf.
Priska sah Eva an, sagte leise: «Ja, Silberschmiedin», und strich ihr tröstend über den Arm.
Diese Geste erschütterte Eva so, dass sie aufsprang und aus der Werkstatt hinauf in die Schlafkammer floh.
Oben verriegelte sie die Tür. Dann hob sie das schwarze Tuch vom Spiegel und betrachtete sich darin. Sie erkannte sich nicht wieder. War sie diese ausgemergelte Frau in dem schäbigen Gewand?
«Wer bin ich?», fragte sie leise. «Bin ich jetzt Eva?»
Es tat weh, sich so zu sehen. Schließlich nahm sie sogar die Haube vom Kopf.
«Ich habe keine Haare mehr», flüsterte sie. «Meine Glieder gehören nicht mehr mir, sondern der ganzen Stadt. Ich habe nichts mehr. Nur noch Davids Liebe. Warum bin ich nicht glücklich damit? Habe ich nicht das, was ich immer gewünscht habe?»
Plötzlich sah sie im Spiegel, dass der Deckel ihrer Kleidertruhe nicht richtig geschlossen war.
Sie drehte sich um, ging zur Truhe und öffnete sie. Sie war leer. Wo waren ihre Kleider? Ihre Haarbänder, Gürtel, Taschen, Schließen, Umhänge und Schuhe? Der Überwurf aus Pelz? Wo das Kleid aus weißem Mailänder Samt? Eva war entsetzt.
Sie schlug die Truhe zu, verhängte den Spiegel, entriegelte die Tür, setzte sich auf das Bett und wartete.
Es dauerte lange, bis sie Davids Schritte hörte.
«Wo sind meine Kleider? Wo die anderen Sachen, die in der Truhe lagen?», fragte sie, noch bevor er die Tür hinter sich geschlossen hatte.
«Du brauchst sie nicht mehr», antwortete David.
«Sie gehören mir», erwiderte Eva.
«Nein, alles in diesem Haus gehört mir. Auch der Inhalt der Truhen. Deine Kleider und die anderen Sachen habe ich Susanne geschenkt.»
«Aber es sind meine Kleider», wiederholte Eva bestürzt und trotzig zugleich. «Du hättest sie nicht wegschenken dürfen.»
«Du hast mich», sagte er. «Ist das nicht mehr als das, was Susanne hat?»
Eva nickte.
«Lass mir ein Kleid. Ein einziges nur», bat sie. «Lass mir das, was ich an unserer Verlobung getragen habe. Ich möchte es zur Erinnerung an diesen Tag behalten.»
David sagte nichts.
«Es war der glücklichste Tag meines Lebens», fügte Eva hinzu. «Dieses Kleid soll mich für immer daran erinnern, dass ich früher als deine Verlobte noch auf dem Platz stand, den mir das Leben zugewiesen hat. Nun aber stehe ich auf dem Platz, den ich mir gesucht habe.»
Davids Blicke glitten über ihr Antlitz, als wolle er hinter ihrer Stirn lesen. Schließlich nickte er. «Ich werde Susanne sagen, dass sie das grüne Kleid herausgeben soll. Ohnehin würde es ihr wohl nicht passen.»
«Danke, David.»
«Küss mich!», forderte er, und Eva berührte mit ihren Lippen zitternd seinen Mund.
Am nächsten Tag präsentierte sich Susanne in einem von Evas
Weitere Kostenlose Bücher